»Bethanien-Sternenkinder Bochum« Von Frank Herrmann  | 

Der Schmerz ist so groß

Ein Weidensarg in der Mitte erinnert an den Verlust.
Ein Weidensarg in der Mitte erinnert an den Verlust.
Bildnachweis: Jörg Eicker, Bethanien Diakonissen-Stiftung ©
Am zweiten Sonntag im Dezember gedenken Eltern weltweit an ihre verstorbenen Kinder. Pastor Frank Hermann begleitet in der Beratungsstelle »Bethanien Sternenkinder Bochum« Eltern, die ihre Kinder in der Schwangerschaft verloren haben.
5 Minuten

Es ist der zweite Sonntag im Dezember. Wir sitzen zusammen und basteln Kerzen für solche Kinder, die in der Schwangerschaft verstorben sind, während oder kurz nach der Geburt. Liebevoll werden Motive ausgeschnitten und auf die Kerzen geklebt. Jede Kerze erzählt etwas von dem erlebten Verlust. Hier finden Trauer und Hoffnung einen Ort. Um 18 Uhr beginnt unsere Gedenkfeier. Wir halten eine Stille, in der das Gedenken und die Tränen ihren Platz haben. Die Namen der Kinder werden auf Sterne geschrieben. Die Eltern legen sie auf den Abendmahlstisch rund um die Kerzen. In meiner Predigt erzähle ich von der Reise Marias und Josefs und der Geburt Jesu – von ihrer Angst und ihren Sorgen. Dann entzünden wir die Kerzen für unsere Kinder. Tränen laufen und manchmal können die Eltern auch etwas lächeln. »Fliegende Wunschzettel« erheben sich brennend vom Boden und schweben durch den Raum. Unsere Kinder sind bei Gott geborgen. So erlebte ich die Veranstaltung zum weltweiten Kerzenleuchten in Bochum.

Wie ein Schock

Wenn ich diese Eltern begleite, spüre ich, wie einschneidend es ist, ein Kind zu verlieren. Die Diagnose, dass ihr Kind nicht überlebensfähig oder schon verstorben ist, erleben Eltern wie einen Schock. Betroffene erzählen von dem Gefühl, nicht sie selbst zu sein. Sie erleben alles wie durch einen Filter. Jetzt brauchen sie Menschen, die zuhören. Immer wieder zuhören, immer wenn sich die Geschichten wiederholen. Das Erzählen hilft den Eltern, das Unbegreifliche in ihrem Leben langsam einzuordnen.

Den Moment der Geburt muss die Frau mit dem Wissen durchleben, dass sie kein lebendes Kind im Arm halten wird. Unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt Eltern den Verlust ihrer Kinder durch eine Fehl- oder Totgeburt erleiden, es bleibt ein Verlust, der Schmerz und Trauer auslöst. Dazu kommen Selbstvorwürfe und Konflikte in der Partnerschaft. Da ist die Mutter, die ihr erstes Kind verliert, was ihr Leben infrage stellt: »Ich bin doch keine richtige Frau, wenn ich nicht einmal ein gesundes Kind zur Welt bringen kann.« »Ich habe meinen Mann enttäuscht, ich wollte Mutter sein.« Die Beziehungen zu anderen Menschen werden mit der Frage konfrontiert: Was hält mich, wenn ich so existenziell bedroht werde? Nicht selten gehen Paarbeziehungen daraufhin in die Brüche.

Verlieren Eltern ein Kind in einem frühen Stadium, wird ihr Verlust von Außenstehenden häufig nicht als solcher wahrgenommen. Sie hören Worte wie: »Ihr seid noch jung und könnt noch viele Kinder haben.« »Ihr habt doch schon ein Kind.« »Das war noch kein richtiges Kind.« Solche Sätze trösten nicht, sie verletzen. Die Eltern trauern nicht um irgendein Kind, sondern um ihr Kind. Ihm gilt der ganze Schmerz.

Zukunftspläne sind verloren gegangen. Vielleicht empfinden Eltern auch Schuld, da das Kind nicht erwartet, nicht erwünscht war. Wichtig für jede Seelsorge ist: All diese Gefühle dürfen nicht bewertet werden. Zum Trost Spenden gehört es, diesen Eltern jetzt zur Seite zu stehen.

Trauer braucht einen Ort

Wenn ihr Kind bei der Geburt nicht gelebt hat und unter 500 Gramm wog, werden Eltern damit konfrontiert, dass ihr Kind rechtlich gesehen keine Person ist. Damit wird der Name nicht in das Personenstandsregister des Standesamtes eingetragen. Diese Erfahrung kann sehr verletzen. Hier hilft es, wenn Gemeinden und Krankenhäuser an einem geeigneten Ort »Sternenkinderbücher « auslegen. Hier können Eltern, Geschwister und Großeltern den Namen ihres Kindes festschreiben. Es hilft sehr, wenn Trauer sich verorten lässt. Denn die Eltern haben die Sorge, dass ihr verstorbenes Kind vergessen wird. Gedenkfeiern und Rituale, wie zum Beispiel der Tag des weltweiten Kerzenleuchtens, helfen dabei, sich zu erinnern.

Trauer braucht Zeit

Mütter von totgeborenen Kindern unter 500 Gramm können keinen Mutterschutz in Anspruch nehmen. Schrecklich ist die Vorstellung, nach der Geburt nur wenige Tage krankgeschrieben zu sein, dann wieder voll im Alltags- und Geschäftsleben funktionieren zu müssen. Nur sehr wenige schaffen das. Die meisten müssen sich weiter krankschreiben lassen. Dabei haben viele Angst davor, als psychisch instabile Person zu gelten – sei es beim Arbeitgeber oder auch in der Familie und vor Freunden. Der Wiedereinstieg in das Berufsleben wirft viele Fragen auf. Wie reagiere ich, wenn ich darauf angesprochen werde? Ich möchte nicht ständig darüber reden und nicht mit jedem. Aber ich will auch nicht, dass es totgeschwiegen wird. Wie bekomme ich das hin?

Nicht selten begegnet mir als Seelsorger die Aussage: »Ich kann keine schwangere Frau, keine Kleinkinder mehr sehen. Das tut so weh und ich bekomme Neid oder sogar Hassgefühle gegenüber mir wildfremden Menschen, die jetzt schwanger sind oder ein gesundes Baby haben. Das ist doch nicht normal!«

Was hier hilfreich sein kann: Raum und Zeit, in denen auch diese Gefühle benannt und stehen gelassen werden. Es ist wichtig, wenn betroffene Eltern ihre aggressiven Gefühle in der Trauer als etwas ansehen lernen, was sie vor Depressionen schützt. Gelingt es, die hinter der Wut liegende Kraft für das gegenwärtige Leben zu nutzen, ist das ein wertvolles Potenzial.

Mir hilft hier der Blick auf Jesus. Wenn er anderen Menschen begegnete, schuf er einen Raum, wo sie sich – unabhängig von der Situation – als von Gott geliebte Menschen sehen konnten. Genau dies ist gegenüber diesen Frauen dran. Wie entdecken sie sich wieder als Frauen und als Mütter? Denn sie sind ja Mütter, obwohl ihre Kinder verstorben sind.

Der Umgang mit Schuld ist herausfordernd. Schuldige werden gesucht und sehr oft endet diese Suche in dem Gefühl, selbst die Schuld tragen zu müssen. Ein Professor der Psychiatrie sagte mir mal: »Mensch, Frank, ich kann mit Menschen mit ihrer Schuld und ihren Schuldgefühlen arbeiten. Aber Schuld vergeben – da seid ihr doch die Fachleute. Wo ist da euer Angebot? Es wird so dringend benötigt.« Gerade in der Begleitung von Eltern, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben, haben Christen da eine wichtige Aufgabe.

Keine Sicherheit, aber Gewissheit

Manche Frauen wagen eine weitere Schwangerschaft. Sie fragen: »Was muss ich alles im Griff haben, damit mir dies nicht noch einmal passiert? Am liebsten würde ich 24 Stunden mit einem Gerät verbunden sein, das die Herztöne meines Kindes anzeigt. In Gesprächen gehen wir mit ihnen an die Stelle, die weh tut: Wie kann ich damit leben, dass es keine Sicherheit im Leben gibt? Aber es gibt Gewissheiten, wie den Glauben an den lebendigen Gott. Der gibt uns Halt, angesichts der Bedrohungen unseres Lebens.

Der Autor

Frank Herrmann ist Pastor der EmK und Referent der Bethanien-Sternenkinder

Weiterführende Links

www.bethanien-stiftung.de/angebote/bethanien-sternenkinder/.
Handreichung der ACK Baden-Württemberg »Eltern trauern um ihr totes neugeborenes Kind«

Termine von ökumenischen Gottesdiensten zum »Worldwide Candle Lighting«
Bochum: 18:00 Uhr  Q1 – Eins im Quartier, Friedenskapelle, Halbachstr. 1, Bochum
Ansprechpartner: Pastor Frank Hermann
Heidelberg: 16:00 Uhr in der Jakobuskirche, HD-Neuenheim
Ansprechpartnerin: Pastorin Damaris Hecker, Leiterin Bethanien Sternenkindercafé
Wuppertal: 18:00 Uhr CityKirche Elberfeld, Kirchplatz 2
Ansprechpartner: Pastor Jürgen Woithe