Fremdenfeindlichkeit Von Bischöfin Rosemarie Wenner  | 

Gottes Raum in uns

Bischöfin Rosemarie Wenner
Wo Menschen aus allen Erdteilen sich Woche für Woche begegnen und in eine bessere Zukunft für ihren Stadtteil investieren, gibt es etwas zu feiern, sagt Bischöfin Rosemarie Wenner.
Fremdenfeindlichkeit ist in die Mitte unserer Gesellschaft gerückt. Umso mehr sind Christen aufgefordert, sich den Menschen zuzuwenden, die Hilfe brauchen – ganz gleich, welche Nationalität, Hautfarbe oder Religion sie haben. Bischöfin Rosemarie Wenner ermutigt uns, uns ganz zu investieren.
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Josef und Maria klopfen an die Tür der Herbergen in Bethlehem, doch es ist kein Platz für sie. Ein Wirt hat schließlich Mitleid und öffnet den Stall, in dem seine Tiere hausen.

Das war eine Szene in dem mit viel Aufwand und Können gestalteten Krippenspiel, das ich am dritten Advent bei der Kinderweihnachtsfeier in der Friedenskirche in Hamburg-Wilhelmsburg miterlebte. In der Fragerunde nach dem Gottesdienst schilderte eine Frau ihre Not: Sie sucht eine Wohnung. Kalt und eng sei es in der Mansarde, in der sie derzeit mit ihrer Familie lebt. Sie deutete auf das junge Mädchen, das neben ihr saß und sagte, dass dessen Familie aus dem Iran noch immer im Container wohne; alle in einem Zimmer.

Kein Raum in der Herberge. Das gibt es mitten unter uns. Gern hätte ich den Menschen gesagt, dass sich ihr Schicksal bald wenden würde. Doch ich wollte keine Versprechungen machen, die sich vielleicht nicht erfüllen. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen in unserem Land zusammenwirken, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Menschen zu fördern, die auf Unterstützung angewiesen sind, seien es alt eingesessene Bürgerinnen und Bürger oder neu angekommene Geflüchtete. Doch ich weiß nicht, wohin sich unsere Gesellschaft entwickeln wird.

Miteinander beten und feiern

»Was tun Sie gegen Fremdenfeindlichkeit und Populismus? «, lautete eine andere Frage in dem Gespräch beim Kirchenkaffee. Die Wilhelmsburger Gemeinde ist dran an den Herausforderungen, die unsere Gesellschaft zu spalten drohen. Später sprach ich mit einer Familie aus Kurdistan, die schon vor etlichen Jahren nach Wilhelmsburg kam und in der damals sehr kleinen Gemeinde eine geistliche Heimat fand.

Mit ihnen wurde die Gemeinde international. Ich lernte hier Menschen aus dem Iran, aus Kurdistan, aus Ghana, aus Kuba, aus den USA und natürlich auch alteingesessene Deutsche kennen. Man spricht über das, was das Leben schwer macht, sei es Wohnungsnot, eine Krebserkrankung oder die Trauer um den vor Kurzem verstorbenen Mann. Und man betet und feiert miteinander.

Die Gemeinde trifft sich nicht nur in Gottesdiensten und Kinderkirche, Bibelstunden – mal in deutscher, mal in englischer Sprache –, Frühstückstreff oder, wenn es um die Jüngeren geht, im neu gegründeten Teeniekreis. Sie trägt auch das Sozialprojekt »Inselarche « für Kinder und Teenager im Stadtteil. Vor zehn Jahren war man drauf und dran, aufzugeben. Heute wächst die Gemeinde, denn: »Hier herrscht eine unglaubliche Toleranz, jeder ist willkommen, wie er ist«, so beschrieb jemand das Alleinstellungsmerkmal dieser Gemeinde. Dazu kommt das Wohlwollen füreinander und die Bereitschaft, anzupacken, wo immer nötig.

Das Krippenspiel in Wilhelmsburg endete mit einem Konfettiregen. Die Party anlässlich Jesu Geburt war fröhlich und ausgelassen. Wo Menschen aus allen Erdteilen sich Woche für Woche begegnen und gemeinsam in eine bessere Zukunft für Menschen in ihrem Stadtteil investieren, gibt es etwas zu feiern. Da wird Gott heute unter uns Mensch, verschafft sich Raum in unserer Mitte und verwandelt uns in sein Bild.

Entnommen aus: »unterwegs« 26/2016