Methodismus Von Karl Heinz Voigt  | 

Luther und Wesley: Eine Seelenverwandtschaft

John Wesley (links) schätzte den deutschen Reformator Martin Luther, der in seiner Zeit auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche übersetzte.
John Wesley (links) schätzte den deutschen Reformator Martin Luther, der in seiner Zeit auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche übersetzte.
Bildnachweis: flickr.com, Robert Scarth, CC BY-SA 2.0 (Wartburg); EmK-Archiv, gallerix.ru
Martin Luther und John Wesley trennen Jahrhunderte, doch im Bibelverständnis war der englische Gründer des Methodismus vom deutschen Reformator entscheidend beeinflusst. Das hat auch den Methodismus mitgeprägt.
4 Minuten

Es gibt innerhalb der methodistischen Tradition eine bewusste Linie, die von Martin Luther und seiner Theologie zu John Wesley führt. Sie fand ihren markanten Anfang, als John in der Londoner Aldergatestreet versunken in einer Gemeinschaftsstunde der Brüdergemeine saß. Einige Sätze, die er aus der Vorrede des Wittenberger Reformators zum Römerbrief hörte, veränderten sein Leben. Die Worte im Tagebuch Wesleys sind wie ein zweifacher Ausdruck von einem ungeahnten Wirkens des Heiligen Geistes. Wesley schrieb: »Mein Herz wurde seltsam erwärmt.« Das zeigt die emotionale Seite einer Glaubenserfahrung. Unauflöslich damit verbunden war die vernünftige Aufnahme der theologischen Einsicht des Rechtfertigungsgeschenkes.

Diese Stunde der Gottesbegegnung war eng mit der Schrift verbunden, denn es ging um den kernigen Römerbrief. Schließlich liegen zwischen Luther und Wesley zweihundert Jahre, die im Denken und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie ein revolutionärer Prozess gärten. In Wesleys Erfahrung verbanden sich die Traditionen, die sich aus Luthers Ansatz und innerhalb der Kirche von England gebildet hatten und ab 1738, dem Jahr der geistigen Begegnung von John, aber auch von Charles Wesley mit Martin Luther, erneuert und weitergeführt wurden.

Ernest Gordon Rupp: »John Wesley und Martin Luther«

Zu Luthers 500. Geburtstag (1983) erschien in der methodistischen Studiengemeinschaft eine Schrift »John Wesley und Martin Luther«. Autor ist der britische Professor E. Gordon Rupp (1910–1986). Rupp hatte Luther verteidigt, als der Reformator während des Zweiten Weltkrieges in England beschuldigt wurde, er sei der »geistige Ahnherr« Adolf Hitlers. In seine Schrift von 1983 bezeugte Rupp »eine wirkliche und tiefe Verwandtschaft zwischen Lutheranern und Methodisten«. Begründet sei sie in der verborgenen Einheit der Kirche »mit Christus in Gott.«

Menschlich sah der englische Professor beide von einer Schlichtheit, die zur Heiligkeit gehört, gekennzeichnet. Beider Lebensstil war »von Strenge und Einfachheit bestimmt« und »beide starben arm«. Ihr Leben war durch »eine große Kraft der Hingabe und geistige Konzentration« geprägt. Luthers »Turmerlebnis« und Wesleys »Aldersgate« gaben beiden eine tiefe Berufungsgewissheit.

Von daher hätten auch ihre Predigten den Mittelpunkt erhalten, schreibt Rupp: »Gott, Christus und das Heil.« Im Temperament allerdings »bestanden auch große Unterschiede«. Luther sei ein Choleriker gewesen, Wesley ein Sanguiniker. »Englische Religiosität brauchte dringend eine Blutauffrischung; und Wesley fand diese in Deutschland, in lutherischen und mährischen Einflüssen, beide miteinander verbunden im Pietismus.«

Entscheidend sind und bleiben die Lehrpositionen. Für beide ist »grundlegend die Rechtfertigung allein aus Glauben« und auch die Heilsgewissheit, wie sie der Lutheraner Regin Prenter beschrieben hatte. Dagegen war die wesleyanische Vorstellung von der ›vollkommenen Liebe‹ schon seit der lutherischen »Ablehnung der Irrtümer der Schwenckfeldianer« verworfen. Neben den Lehren zeigte Gordon Rupp die Bedeutung der »Gemeinschaft« im Methodismus und in Luthers Vorrede zu seiner Ausgabe der Deutschen Messe auf. Der Systematiker Karl Steckel kam zu dem Urteil: Gordon Rupps »Liebe zu Luther spricht aus der vorliegenden Schrift«.

Der Brite Rupp hatte in Heidelberg studiert und führte seine Kontakte zu den Kirchen des Kontinents in seinem internationalen Engagement in der ökumenischen Friedensarbeit fort. 1945 war er einziger Freikirchler bei der Begegnung, welche die Schulderklärung der Evangelischen Kirche Deutschlands in Stuttgart hörte.

Philip S. Watson: »Die Autorität der Bibel bei Luther und Wesley«

Der in Cambridge lehrende Professor Philip S. Watson (1909–1983), ein anderer Methodist, wurde in Deutschland als Lutherforscher geschätzt. Es ist bis heute ungewöhnlich, dass eine »Einführung in Luthers Theologie«, die ein britischer Methodist verfasst hat, ins Deutsche übersetzt und in zwei Auflagen 1952 und 1967 gedruckt wurde. Der bayerische Landesbischof Hans Meiser schrieb sogar das Vorwort. Darin hat er das Buch »dankbar und freudig« begrüßt – eine Haltung, die wir bei dem später umstrittenen Meiser nicht immer finden. »Die Autorität der Bibel bei Luther und Wesley« war zunächst als Vortrag im internationalen lutherisch-methodistischen Dialog vor den Kommissionsmitgliedern gehalten worden, als sie sich im Januar 1979 in Dresden trafen. Dass die Autorität der Bibel bei Lutheranern und Methodisten »unsere einzige authentische Quelle für die Kenntnis dessen, was wahres Christentum ist«, gesehen wird, kann niemanden überraschen. Aber es sei »nutzlos«, dies zu betonen, »wenn man sich nicht einig ist, wie sie auszulegen ist«, war eine These Watsons. Darum stellte er für die Methodisten nach dem »Vorrang der Schrift« in der Weiterführung der anglikanischen Position, welche die »Tradition« und die »Vernunft« zur Auslegung heranzieht, als viertes typisch methodistisches Element die Rolle der »Erfahrung « vor. Dieses sogenannte »Quadrilateral« ist heute unter methodistischen Schriftauslegern Allgemeingut geworden. Mir schein bedeutender, dass in diesem Dialog Luthers Verständnis durch einen Methodisten dargelegt wurde. Das ist in der Ökumene eine verhältnismäßig wenig benutzte Methode gegenseitigen Respekts. Es sollte auch in den örtlichen und regionalen ACKs und in ökumenischen Begegnungen von Nachbargemeinden viel mehr genutzt werden, dass katholische und landeskirchliche Partner Lehre und Geschichte von freikirchlichen Mitgliedskirchen vorstellen wie Freikirchler Selbstverständnisse von Landeskirchen und Katholiken vortragen.

Bischof John L. Nuelsen

Aber auch umgekehrt wurde Luther bei den Methodisten geschätzt. Das zeigt beispielhaft John Louis Nuelsen (1867–1946), von 1912 bis 1940 Bischof des europäischen Sprengels der Bischöflichen Methodistenkirche. Nuelsen hielt vor 100 Jahren in Zürich einen Vortrag über »Methodismus und Reformation«. Dieser wurde später auch in Deutschland gedruckt zugänglich.

Entnommen aus »unterwegs« 19/2016

Information

In der »Verfassung, Lehre und Ordnung« der Evangelisch-methodistischen Kirche heißt es: »Wesley war überzeugt, dass der lebendige Kern des christlichen Glaubens in der Bibel offenbart, von der Tradition erhellt, in persönlicher Erfahrung zum Leben erweckt und mit Hilfe des Verstandes gefestigt wird.« Der Theologe Manfred Marquardt erläutert das so: Was vielleicht wie eine bloße Aufreihung aussieht, verdeckt doch nicht den Vorrang der Bibel als Quelle und Maßstab für Verkündigung und Lehre der Kirche, sieht sie aber doch nicht isoliert vom Kontext ihres Verstehens und von den Wechselwirkungen, in denen die anderen drei untereinander und mit der Heiligen Schrift stehen.« Die frühere Tradition und die sich eben gerade vollzogene Geschichte, also die Erfahrung, sind Eckpfeiler methodistischer Erklärung der Schrift. Sie bedürfen darum entsprechender Beachtung in der eigenen Forschung und Lehre.