Es geht nicht nur ums Essen Von Der »Tafel«-Chor (mig)  | 

Die singende »Tafel«

Der »Freitags-Chor« der EmK Wilkau-Haßlau mit Lutz Brückner (mit Gitarre)
Der »Freitags-Chor« der EmK Wilkau-Haßlau mit Lutz Brückner (mit Gitarre)
Seit fast einem Jahr treffen sich in den Räumen der EmK in Wilkau-Haßlau kurz vor Mittag etwa 10-15 Leute. Aus »Tafel«-Kunden wurde der »Freitags-Chor«.
3 Minuten

An und für sich ist so ein Treffen ja nichts Besonderes, denn viele Gemeinden haben einen Chor, der regelmäßig übt und singt. Doch die Menschen, die hier zusammenkommen, gehören gar nicht zur Gemeinde der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK). Sie kommen dorthin, um über die »Zwickauer Tafel« mit Lebensmitteln versorgt zu werden. Ein paar ehrenamtliche Helferinnen der EmK-Gemeinde und aus der näheren Umgebung öffnen die Räume ihrer Kreuzkirche schon lange vor der Essensausgabe und heißen die Gäste willkommen. Die meisten von denen, die schon längst vor der Essensausgabe ankommen, sind nicht nur wegen des geheizten Raumes oder der Tasse Kaffee hier. Sie haben entdeckt: Singen macht Freude. Singen verbindet. So ist unter Anleitung von Pastor Lutz Brückner der »Freitags-Chor« entstanden, der wöchentlich probt.

Ein gewisser Anspruch muss schon sein

Natürlich geht es dabei nicht um musikalische Perfektion, aber einen gewissen Anspruch bringen die Leute von selbst mit. Miteinander freuen sie sich über jeden kleinen Fortschritt, der zu hören ist. Auch einige Auftritte hatten die Chormitglieder schon: so im Gottesdienst der EmK bei der Vorstellung der Abschlussgruppe des Kirchlichen Unterrichts und beim Sommerfest der »Tafel«-Besucher, zu dem auch die Gemeinde eingeladen war. Der jüngste Auftritt war beim Erntedankfest, und der nächste ist zum Krippenspiel am Heiligabend geplant.

Sich selbst etwas zutrauen

Natürlich wird nicht nur gesungen – bei einer Tasse Kaffee wird viel gelacht. Man kommt miteinander ins Gespräch, erfährt vom Ergehen der anderen und wächst so mehr und mehr zu einer Gemeinschaft zusammen. Die Chormitglieder denken aneinander, wenn jemand Geburtstag feiert oder eine schwierige Situation durchlebt. Sie freuen sich gemeinsam oder trösten sich gegenseitig. Beeindruckend ist, dass diese Menschen, die sonst eher an den Rand gedrängt oder verächtlich behandelt werden, nicht ihren Kopf in den Sand stecken. Sie haben Freude daran entwickelt, sich etwas zuzutrauen und sich einzubringen. Das ist auch das Anliegen von Pastor Lutz Brückner, ihrem Anleiter. Der ist davon überzeugt, dass in seinen Sängerinnen und Sängern mehr steckt, als sie selber glauben. Ihm ist es wichtig, dass denen, die hier zusammen kommen, das entgegengebracht wird, was sie so oft in ihrem Alltag vermissen: Wertschätzung.

»Ich hatte kein Selbstwertgefühl mehr«

Eine Sängerin drückte ihre Gedanken und Gefühle folgendermaßen aus: »Es ist manchmal nicht leicht, zu beschreiben, warum man etwas gerne oder gerade jetzt tut. Vielerlei Gründe führen dazu, sich in die unendliche Welt des Grübelns zu begeben. Entscheidungen fallen sehr schwer und man muss am Ende feststellen, dass man ohne Hilfe aus diesem Loch nicht heraus kommt. Steine müssen erst aus dem Weg geräumt werden. Warum ich gern im Chor mitsinge? Spontan kann ich diese Frage gar nicht gleich beantworten. Aber eins steht fest: Es gibt Menschen, die bereit sind, mit Worten oder Gesten einem anderen zu helfen, sich aus dem Loch, aus diesem Tief zu befreien. Auch bei mir war das so. Ich habe in einem sehr tiefen mentalen Loch gesteckt und hatte kein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl mehr. Da haben mich andere Menschen daran erinnert, dass ich früher sehr viel Freude am Singen hatte. Durch diese Erinnerung habe ich Mut geschöpft und bin der Einladung zur Gründung unseres Freitags-Chors gefolgt. Hier lerne ich mich wieder selbst kennen und schätzen. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum ich Freude an dieser Freizeitgestaltung habe: Ich werde in diesem Chor als Mensch unter Menschen akzeptiert und nicht verachtet, nur weil ich Sozialhilfe empfange. Ich komme mit Menschen in Kontakt und habe die Erfahrung gemacht, dass es nach jedem Tunnel auch wieder hell wird.«

Autoren

Die Chormitglieder des »Freitags-Chors« haben diesen Text zusammen mit Pastor Lutz Brückner erstellt. Kontakt: lutz.brueckner(at)emk.de.