Reformationsjubiläum Von Dr. Patrick Streiff  | 

Lutheraner, Reformierte und Methodisten in der Schweiz

Wann soll man in der Schweiz das Reformationsjubiläum feiern?
Wann soll man in der Schweiz das Reformationsjubiläum feiern? Es ist in jedem Kanton anders, und 500 Jahre Reformation kann eigentlich nirgends in der Schweiz gefeiert werden, sagt Bischof Patrick Streiff.
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Wann soll man in der Schweiz das Reformationsjubiläum feiern? Es ist in jedem Kanton anders, und 500 Jahre Reformation kann eigentlich nirgends in der Schweiz gefeiert werden, sagt Bischof Patrick Streiff.
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Soll man also für 2017 in der Schweiz überhaupt besondere Jubiläumsveranstaltungen planen? Darüber gab es zunächst im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund einigen Gesprächsbedarf. Denn der Übergang zur Reformation erfolgte in der Schweiz erst einige Jahre später als in Deutschland, mit unterschiedlichen Jahreszahlen für jeden Kanton.

Neben den bekannten Gestalten wie Zwingli und Calvin gab es eine größere Zahl von Reformatoren, die vor allem in einzelnen Städten oder Kantonen gewirkt haben. An vielen Orten erfolgte der Übergang zur Reformation nach Disputationen, die die weltlichen Behörden einberufen hatten, um zu entscheiden, ob sie für ihr Herrschaftsgebiet die neuen Lehren einführen. Nach einigen Bemühungen gelang es, die unterschiedlichen Strömungen der Schweizer Reformation im Zweiten Helvetischen Bekenntnis (1566) und auf der Grundlage des Heidelberger Katechismus (1563) zu einen und gemeinsam als »Reformierte « aufzutreten. Die Schweizer Reformation strahlte damals bereits in viele andere europäische Länder aus.

Eine ähnliche Einigung zwischen den Schweizer Reformatoren und Luther misslang im 16. Jahrhundert. Lutherische Gemeinden sind in der Schweiz auch erst in neuerer Zeit entstanden. Heute gibt es einen Bund evangelisch-lutherischer Gemeinden in der Schweiz, deren Gemeinden oft enger mit dem skandinavischen als mit dem deutschen Luthertum verbunden sind. Bis in die jüngste Gegenwart nahm man es als selbstverständlich, dass jeder protestantische Christ, der in die Schweiz zieht, auch automatisch Mitglied der reformierten Kirche des Wohnkantons wird.

Die Bischöfliche Methodistenkirche (ab 1856) und die Evangelische Gemeinschaft (ab 1866) verbreiteten sich in der Schweiz auf dem Hintergrund des tiefen Risses zwischen erwecklichen und liberalen Tendenzen im Protestantismus. Sie wurden als Sekten betrachtet und ihre Mitglieder als »Stündeler « bezeichnet.

Die reformierten Kirchen hatten damals bereits jede Bekenntnispflicht aus der Verfassung und Amtsverpflichtung der Pfarrer gestrichen. Die reformierten Kantonalkirchen der Schweiz sind bis heute bekenntnisfrei geblieben und unterscheiden sich darin grundlegend von den lutherischen Kirchen in Deutschland.

Auch im Rückblick ist es erstaunlich, dass die Bischöfliche Methodistenkirche bereits 1922 Mitglied im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund wurde. Die Evangelische Gemeinschaft folgte erst nach dem 2. Weltkrieg, 1953. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund wurde 1920 gegründet aufgrund eines Anstosses durch den Federal Council of Churches of Christ in den USA, dessen erster Präsident der methodistische Bischof Eugene R. Hendrix war. Der Federal Council suchte in Europa Partner, um die Wiederaufbauhilfe nach dem 1. Weltkrieg zu koordinieren.

Was in Deutschland aufgrund der Bekenntnisbindung der lutherischen Kirchen undenkbar gewesen wäre, war in der Schweiz aufgrund der Bekenntnisfreiheit in den reformierten Kirchen möglich: Der Vorstand des Kirchenbundes empfahl dem Aufnahmegesuch der Bischöflichen Methodistenkirche 1922 zuzustimmen: »Der Eintritt der Methodistenkirche bedeutet etwas Neues in der schweizerischen Kirchengeschichte, denn ihre Tätigkeit in der Schweiz hat sich früher nur unter dem Widerstand der Landeskirchen durchsetzen können.

Die Methodistenkirche hat aber gerade durch ihren Zusammenhang mit einer großen weltumfassenden Kirche mehr und mehr den sektenhaften Charakter, mit dem sie im europäischen Urteil vielfach behaftet war, abgestreift … und einen großkirchlichen und weitherzigen Zug betätigt, den protestantischen Zusammenschlussbewegungen kräftige Förderung angedeihen lassen und ein grossartiges evangelisches Hilfswerk in Europa durchgeführt, dem die allgemeine Anerkennung sich nicht versagen konnte ...«

Regelmäßige Lehrgespräche

1987 kamen der Weltrat Methodistischer Kirchen und der Reformierte Weltbund überein, dass eine »breite allgemeine Übereinstimmung über das Wesen des Evangeliums und der Kirche« besteht. Im Rahmen weiterer Lehrgespräche konnte 1996 die gegenseitige Anerkennung von Wortverkündigung, Sakramenten und Ämtern zwischen reformierten, lutherischen, unierten, waldensischen und methodistischen Kirchen ausgesprochen werden.

Diese Kirchen bilden heute die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa. Es hängt wohl auch mit der Bekenntnisfreiheit der reformierten Kantonalkirchen zusammen, dass solche Lehrgespräche auf ihren Synoden kaum wahrgenommen werden. Und es zählt zur Besonderheit der Kirchenlandschaft in der Schweiz, dass zwar die EmK, nicht aber der Bund evangelisch-lutherischer Kirchen Mitglied des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes ist.

Zur Zeit ist im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund eine Verfassungsrevision im Gange. Dahinter steht die Absicht, die gemeinsame Arbeit besser zu bündeln, auf gesamtschweizerischer Ebene in der Öffentlichkeit klarer aufzutreten, das gemeinsame kirchliche Bewusstsein zu stärken und in einer Zeit sinkender Kirchensteuereinnahmen effizienter zusammen zu arbeiten.

In den einzelnen, kantonal verfassten, reformierten Kirchen gibt es große Unterschiede in der Verfassung, in der rechtlichen Stellung gegenüber dem Staat, im Kirchensteuerrecht und in den Kompetenzen der Ortsgemeinden gegenüber der Synode. Neben den zwei großen reformierten Kantonalkirchen von Bern und Zürich sind die anderen deutlich kleiner und haben oft nicht viel mehr oder sogar deutlich weniger Pfarrerinnen und Pfarrer als die EmK. Die Evangelisch- methodistische Kirche ist jedoch ausschließlich gesamtschweizerisch gemäß Zivilrecht als Verein organisiert und hat keine kantonalen Strukturen oder öffentlichrechtliche Anerkennung.

In der gegenwärtigen Diskussion zur Verfassungsrevision zeigen sich aber auch Spannungen zwischen dem Wunsch, eine spezifisch reformierte Identität aufzubauen, und dem weiter gefassten Verständnis einer Gemeinschaft evangelischer Kirchen. Die EmK ist in der Schweiz auch Mitglied des Verbandes der evangelischen Freikirchen und Gemeinschaften (VFG) und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (AGCK).

In der älteren Generation sind noch viele Mitglieder der EmK zugleich Mitglieder der reformierten Landeskirche und wollen es bewusst bleiben. In der jüngeren Generation ist dies immer weniger der Fall. Auf Ortsebene arbeiten die EmK-Gemeinden in vielfältiger Weise sowohl mit anderen Freikirchen als auch mit den Landeskirchen (reformiert, römisch-katholisch, und christ-katholisch bzw. alt-katholisch) zusammen. Wie gut sich solche Zusammenarbeit entwickelt, hängt meist stärker von den Pfarrpersonen auf beiden Seiten ab, als von einer lehrmäßigen Vereinbarung zwischen den Kirchen.

Entnommen aus: »unterwegs« 12/2017