Glaube und Kultur Von Klaus Schmiegel  | 

»Takulandirani« Herzlich willkommen!

Gottesdienst in Malawi: Lachen und Tanzen gehören dazu.
Gottesdienst in Malawi: Lachen und Tanzen gehören dazu.
Bildnachweis: privat
Wie die Begegnung mit anderen Kulturen den Glauben sowie die Sicht auf das Leben und die Welt verändert: Klaus Schmiegel über seine Erfahrungen in Malawi.
4 Minuten

Takulandirani: Herzlich willkommen! Mit diesem Gesang wurden wir als Familie im Januar 2011 in Malawi am Flughafen von einer Delegation der Evangelisch- methodistischen Kirche begrüßt. Damit begann unser neues und ganz anderes Leben.

Wo so vieles ganz anders ist

Das Wort »anders« ist uns in unserem Missionseinsatz in Malawi zentral geworden. Die Menschen in Malawi beurteilen das Leben aufgrund ihres kulturellen Kontextes anders als wir. So ist ihr Umgang mit Geld anders und ihre Art zu kommunizieren. Zum Beispiel: Wann ist ein »Ja« ein wirkliches »Ja« und nicht ein verstecktes »Nein«? Ohne dieses »anders« im Blick zu haben, könnte man sagen, da hat mich jemand angelogen. Bezieht man dieses »anders« mit ein, erkennt man, dass es sich in der malawischen Kultur nicht gehört, einem Gast zu widersprechen. Also sagt man »ja« aus Gastfreundschaft heraus, auch wenn man »nein« meint. Das war für uns fremd.

Auch die Feier des Gottesdienstes in der EmK in Malawi ist grundlegend anders. Mein längster Gottesdienst dauerte etwa fünf Stunden. Tanzen, Lachen und Interaktion gehören elementar dazu. Mein Empfinden und das meiner Familie, was einen lebendigen Gottesdienst ausmacht, hat sich dadurch verändert. Ebenfalls ist der Glaube der Menschen in Malawi anders gefüllt. Unter anderem bilden die Welt der Ahnen, die Frage nach Zauberei die kulturelle Grundlage, auf der der Glaube und auch die Theologie hervorgehen. Dinge passieren nicht nur einfach in der physischen Welt. Es gibt meistens dafür ein Pendant in der geistigen Welt. Deswegen ist für die Menschen in Malawi Aids nicht einfach nur eine medizinische Frage, sondern die Menschen fragen auch, wer dafür in der geistigen Welt verantwortlich ist. Das heißt: »Wer hat mir diese Krankheit durch Zauberei geschickt?«

Diese Denkvoraussetzungen teilten wir nun nicht. Bei vielen Verhaltensweisen hatten wir am Anfang unsere Fragezeichen. Oft saßen wir als Ehepaar abends zusammen und versuchten uns einen Reim auf das Verhalten von Menschen zu machen. Die Frage: »Warum verhalten sich die Menschen so?«, half uns nach den tieferliegenden gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhängen zu graben. Da war Geduld von unserer Seite aus gefragt. Die Versuchung lag nahe, zu voreiligen Schlüssen zu kommen, in dem man automatisch das eigene kulturelle Koordinatensystem anlegt. Geholfen hat uns dabei die Erinnerung an den Geist der Besonnenheit aus 2.Timotheus 1,7: »Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit« (Gute Nachricht Bibel).

Die andere Art zu glauben, wurde mir beim Training von Laien deutlich, das ich in einem Bezirk im südlichen Malawi durchgeführt habe. Am Abend kamen nach der Unterrichtseinheit die Leiter der Gemeinde auf mich zu und sagten, dass eine Teilnehmerin Kopfschmerzen habe. Gut deutsch dachte ich zuerst: »Gebt ihr eine Aspirin«. Nachdem ich offensichtlich ein bisschen ahnungslos geschaut habe, meinte der Pastor zu mir, ich solle für sie beten, damit die Kopfschmerzen verschwinden. Was ich dann auch getan habe. Ob die Kopfschmerzen verschwunden sind, habe ich nicht erfahren. An dieser Begebenheit wurde mir aber deutlich, welch Geistes Kind ich bin: Mein Denken und Glaube sind durch Aufklärung und Wissenschaft geprägt. Die Menschen in Malawi erwarten grundlegend alles von Gott und gestalten ihr Leben in Vertrauen auf ihn. Dabei fordern sie unsere westliche aufgeklärte Sicht heraus. So durften wir als Familie immer Lernende sein, die von der malawischen Sicht auf das Leben, den Glauben und die Welt profitiert haben. Unser Glaube wurde dadurch weiter, offener und toleranter.

Nachdenken über die eigene Kultur

Solche Begebenheiten ließen uns über die eigene Kultur nachdenken und auch zu schätzen, was man an der eigenen Glaubens-Kultur hat. Ein Stück Heimat waren Begegnungen mit Deutschen in Malawi, da man im Umgang miteinander keine kulturellen Codes entziffern musste. Deswegen können wir Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die in Deutschland leben, gut verstehen, wenn sie von Zeit zu Zeit ihre eigenen kulturellen Cliquen bilden.

So wie man einen Kulturschock erlebt, wenn man in eine fremde Kultur eintaucht, kann das auch passieren, wenn man in das eigene Heimatland zurückkehrt. In Deutschland ist uns das meiste vertraut und bekannt, aber manches ist uns durch unsere Zeit in Malawi fremd geworden. Während man sich in Malawi sehr freundlich auf der Straße gegrüßt hat, kann man in Deutschland dafür erstaunte Blicke ernten. Aber auch unsere deutsche Konsumgesellschaft mit ihren »first world problems« – zum Beispiel die Diskussionen, ob ein Apple- oder Android-Smartphone besser ist – löste nach unserer Rückkehr Unverständnis in uns aus.

Inzwischen sind wir in Ludwigsburg angekommen, wobei ein Teil unserer Herzen in Malawi geblieben ist. Erhalten wollen wir uns gerne die Dankbarkeit für Alltägliches. Wir schätzen die deutsche medizinische Versorgung, nachdem wir das malawische Gesundheitssystem kennengelernt haben. Das Buch »Wo es keinen Arzt gibt« von David Werner wurde dort zu einer stets griffbereiten Lektüre. Leitungswasser kann man hier trinken, es muss nicht gefiltert oder abgekocht werden. Strom gibt es den ganzen Tag. Eines der ersten schwierigeren deutschen Wörter, das eine unserer Töchter in Malawi gelernt hat, war »Stromausfall«. Wenn beim Abendessen das Licht ausging, bemerkte sie trocken: »Omofall«. Alltägliches, über das wir uns in Deutschland keine Gedanken gemacht haben, entwickelte sich in Malawi zu etwas, für das wir dankbar wurden.

In unserer Zeit in Malawi haben wir Dürre und übermäßigen Regen erlebt, anscheinend Auswirkungen des Klimawandels, wodurch die Menschen existentiell bedroht sind. Seit Malawi kommt man nicht umhin darüber nachzudenken, welche Kosten unser Wohlstand und unser westlicher Lebensstil auf der anderen Seite des Globus verursacht. Unser Konsumverhalten hat einen Preis, der sehr viel höher ist, als wir wahrhaben wollen. Und wenn man dann noch konkret Menschen vor Augen hat, Namen und Gesichter, die das betrifft, denkt man nur: jetzt ist Zeit für einen Wandel zu einem nachhaltigen Leben für alle, für einen besonnenen Konsum und für Verzicht. Wir selbst können einen Anfang machen.

Beitrag entnommen aus »unterwegs« 21/2017

Der Autor

Klaus Schmiegel war von 2011 bis 2016 für die Ausund Weiterbildung von Pastorinnen, Pastoren und Laien in der EmK in Malawi zuständig.