Prägende Persönlichkeit Von Klaus Ulrich Ruof  | 

Wo sich Gerechtigkeit und Friede küssen

Nelson Mandela im Juni 1990 wenige Monate nach seiner Freilassung bei einer vielbeachteten Predigt in den USA in der Riverside Church in New York.
Nelson Mandela im Juni 1990 wenige Monate nach seiner Freilassung bei einer vielbeachteten Predigt in den USA in der Riverside Church in New York.
Bildnachweis: UMTV, https://youtu.be/soUFVDLFWV4
Am heutigen Mittwoch wäre Nelson Mandela hundert Jahre alt geworden. Die Erinnerung an sein Leben ist Zeichen dafür, dass eine andere Welt möglich ist.
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An diesem Mittwoch wäre der ehemalige Freiheitskämpfer und spätere Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela hundert Jahre alt geworden. Der aus einer methodistischen Familie stammende Häuptlingssohn war als Freiheitskämpfer und politischer Gefangener weltweit bekanntgeworden. Nach dem Ende des Apartheidregimes in Südafrika war er der erste schwarze Präsident Südafrikas. Am 5. Dezember 2013 verstarb er im Alter von 95 Jahren. Viele Menschen hat dieser Mann durch sein Leben, seine Haltung sowie sein Auftreten und sein Reden inspiriert und gilt als eine der herausragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

»Kommen Sie zu uns an den Tisch«

Als Nelson Mandela am 11. Februar 1990 die Haftanstalt verließ, hatte er siebenundzwanzig Jahre Haft hinter sich. Als Widerstandskämpfer gegen das Apartheid-Regime in Südafrika war er ursprünglich zu »Lebenslänglich« verurteilt worden. Zu der Zeit war er bereits zu einer Ikone stilisiert, die er nie sein wollte. Dass er zu einer solchen Ikone wurde, hatte neben seinem unermüdlichen Einsatz für Freiheit und Aufhebung der Rassentrennung auch damit zu tun, dass er diesen – manche Zeitzeugen, Wegbegleiter und Journalisten meinen übermenschlichen – Willen zur Versöhnung besaß. Wie sehr Mandela diese Haltung lebte, schildert der anglikanische Geistliche Harry Wigget in seinem 2007 in Kapstadt erschienenen Buch »A Time to Speak«, auf Deutsch etwa »Sprechen wir darüber«. Darin beschreibt Wigget, wie er 1982 als Gefängnispfarrer für die politischen Gefangenen im Pollsmoor-Gefängnis zuständig war, unter denen sich auch Nelson Mandela befand. Der erste von ihm geleitete Abendmahlsgottesdienst hinterließ bei Wigget nachdrückliche Spuren. Die Gefangenen standen um den Abendmahlstisch, während sie von einem Gefängnisaufseher kritisch überwacht wurden. Mandela unterbrach den Geistlichen während der Liturgie und ging auf den Aufseher namens Christo Brand zu. Mandelas Frage, ob er Christ sei, bejaht dieser, woraufhin Mandela ihn aufforderte: »Dann kommen Sie zu uns an diesen Tisch. Sie können nicht abseits sitzen bleiben. Das ist das heilige Abendmahl, wir müssen es teilen und gemeinsam empfangen.«

Einer, der Ärger macht

Während seines ganzen Lebens hatte Nelson Mandela viele Verbindungen zum Methodismus. Er wurde am 18. Juli 1918 im Dorf Mvezo in der Nähe von Umtata, der in der östlichen Kap-Region gelegenen Hauptstadt der Transkei, geboren. Sein britischer Vorname Nelson wurde ihm erst von einer Lehrerin in der Grundschule gegeben. Der ursprüngliche Rufname lautete Rolihlala, was gutmeinend mit »einen Ast vom Baum abbrechen« übersetzt werden kann. Hinter der netten Übersetzung verbirgt sich jedoch eher ein »Unruhestifter« oder »einer, der Ärger macht«. Als Jugendlicher wurde er in einer methodistischen Kirche getauft und besuchte ein methodistisches Internat, in dem viele spätere afrikanische Führungspersönlichkeiten ausgebildet wurden. Als gutgebildeter junger Mann und Jurist schloss er sich früh der Anti-Apartheid-Bewegung an, in der er unter anderem auch von methodistischen Pastoren und Pädagogen begleitet und beraten wurde. Als einer der Führer im Anti-Apartheid-Kampf wurde er 1963 zu lebenslanger Haft auf der gefürchteten Gefängnisinsel Robben Island verurteilt. Der methodistische Pastor Peter Storey war dort Gefängnispastor und hatte dadurch einen intensiven seelsorgerlichen Kontakt mit Nelson Mandela und den mit Mandela einsitzenden politischen Gefangenen.

Ohne Wahrheit keine Heilung

Vier Jahre nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis, wurde Mandela 1994 zum Präsidenten Südafrikas gewählt. Als Präsident arbeitete Mandela eng mit Kirchenführern zusammen, um die Neugestaltung der Nation unter den Zeichen wirksamer Versöhnung und Vergebung auf den Weg zu bringen. So berief er neben anderen auch Peter Storey, einen weiteren ehemaligen Gefängnisseelsorger, in die Wahrheits-und Versöhnungskommission, die im Jahr 1995 gegründet wurde. Die Arbeit dieser Kommission gilt weltweit als Vorbild, wie nationale Heilung und Vergebung aus vorher scheinbar unüberwindbaren und feindlichen Gegensätzen möglich werden kann. »Wir wussten, dass Wahrheit die Voraussetzung ist, um eine neue Nation aufzubauen«, sagte Storey im Rückblick auf diese Ereignisse. »Ohne Wahrheit keine Heilung. Ohne Vergebung keine Zukunft.«

Träger des Methodistischen Friedenspreises

Der Weltrat Methodistischer Kirchen ehrte Mandela als »Symbol für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden« und sprach ihm den Methodistischen Friedenspreis im Jahr 2000 zu. Seine »bemerkenswerte Freiheit von Bitterkeit und sein ganzes Leben spiegeln Qualitäten, die für den Methodistischen Friedenspreis ausschlaggebend sind«, sagte Frances Alguire, Vorsitzende des Rats, bei der Preisvergabe. Im Jahr 1999 zog sich Mandela aus seiner politischen Verantwortung als Präsident Südafrikas zurück, hatte aber weiterhin großen Einfluss sowohl weltweit als auch auf dem afrikanischen Kontinent. Seinen letzten vielumjubelten Auftritt hatte Mandela 2010 bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika.

Eine andere Welt ist möglich

Der von vielen verehrte Nelson Mandela findet sich heute mit seinem Bildnis auf den Geldscheinen Südafrikas und als Namensgeber für Brücken, Schulen, Universitäten, Straßen und Plätzen. Sogar eine Stadt trägt seinen Namen. Mandela selbst war diese Art der fast an Heiligenverehrung grenzenden Huldigung suspekt, auch weil er wusste, dass menschliches Leben immer unvollkommen ist. Bei aller Anerkennung zeigt die gesellschaftliche Lage in Südafrika auch die Grenzen seines Wirkens auf. Seine Konzilianz gegenüber Weißen fand und findet immer wieder scharfe Kritiker, und die Entwicklung Südafrikas zu einer Nation ohne Rassismus scheint steckengeblieben zu sein. Nicht zuletzt wird auch die in der Partei African National Congress (ANC) grassierende Korruption und Vetternwirtschaft mit dafür verantwortlich gemacht, gegen die Mandela nicht genug vorgegangen sei. Trotzdem bleibt Nelson Mandela als eine Persönlichkeit in Erinnerung, die ihrem Volk half, Unrecht beim Namen zu nennen, es aufzuarbeiten und so Versöhnung zu bewirken. Dass dies darüber hinaus die Welt bewegte und Menschen veränderte, ist ein Zeichen dafür, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, in der »Gerechtigkeit und Friede sich küssen«, wie es die Bibel in Psalm 85,11 ausdrückt.

Der Autor

Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland in Frankfurt am Main. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.

Zur Information

Buchhinweis (nur Englisch): Harry Wiggett, A Time to Speak (Cape Town, 2007)