Buchvorstellung Von Michael Wetzel  | 

Im Schatten der Reformation

Mit seinem Buch über »Kirchliche Minderheiten im Schatten der lutherischen Reformation« entwirft Karl Heinz Voigt das Panorama einer fünfhundertjährigen Kirchengeschichte.
Mit seinem Buch über »Kirchliche Minderheiten im Schatten der lutherischen Reformation« entwirft Karl Heinz Voigt das Panorama einer fünfhundertjährigen Kirchengeschichte aus der Perspektive von Glaubensgemeinschaften, die von einem unduldsamen Protestantismus lange verfolgt, bekämpft, ja sogar ausgelöscht wurden.
Bildnachweis: Vandenhoeck & Ruprecht (Buchtitel); Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit (Voigt)
Kirchliche Minderheiten wurden lange ausgegrenzt. Der Theologe Karl Heinz Voigt zeichnet ihre Geschichte nach. Lesenswert, sagt der Historiker Michael Wetzel.
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Zu den aus methodistischer Sicht enttäuschenden Erkenntnissen des 2017 opulent gefeierten Reformationsjubiläums zählt die Beobachtung, dass die Freikirchen im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent sind und ihre Rolle als kaum gesellschaftsrelevant eingeschätzt wird. Das gängige Bild der deutschen Kirchenlandschaft ist jedenfalls nicht bunt, sondern zweifarbig: Man ist entweder römisch-katholisch oder evangelisch-landeskirchlich.

Perspektivwechsel

Welche historischen Ursachen dieser verengte Blickwinkel hat und welche Aufgaben sich daraus für das kirchliche Miteinander heute ergeben, beschreibt Karl Heinz Voigt in seinem Buch. Auf 380 Seiten entwirft er das Panorama einer fünfhundertjährigen Kirchengeschichte aus der Perspektive jener Glaubensgemeinschaften, die von einem unduldsamen Protestantismus lange verfolgt, bekämpft, ja sogar ausgelöscht wurden. Dieser Perspektivwechsel war längst überfällig, denn die Dominanz der »großen« Kirchen hat auch die Kirchengeschichtsschreibung oft einseitig gewichtet.

Einmal mehr erweist sich Voigt als ungemein kenntnisreicher Autor, der kein trockenes akademisches Lehrbuch vorlegt, sondern Erfahrungen aufgreift, die viele Methodisten von den Gründungsgeschichten ihrer Gemeinden her kennen: die Verunglimpfung als Sektenanhänger, die polizeiliche Überwachung von Versammlungen, das verweigerte Singen und Beten bei Begräbnissen. Sie sind indes nur ein Teil dessen, was als Geschichte »im Schatten der lutherischen Reformation« dargestellt wird. Von den unterdrückten Waldensern, Hussiten und Mennoniten spannt Voigt den Bogen über die Kontrolle pietistischer Zirkel bis zu den beargwöhnten Anfängen des Methodismus, Baptismus und anderer Freikirchen im 19. Jahrhundert und lässt auch Geschichte und Gegenwart der ökumenischen Bewegung nicht außer Acht.

Warum der Ausschluss von Minderheiten?

Als entscheidend für die Verweigerung religiöser Vielfalt identifiziert Voigt den Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Dieser legitimierte das katholische, lutherische und reformierte Bekenntnis und schloss zugleich alle Andersgläubigen aus. Welch fatale Folgen dies hatte und mit welcher Härte kirchliche Machthaber gegen Minderheitsbekenntnisse vorgingen, illustriert Voigt an vielen Beispielen. Er beleuchtet aber auch die Nischen, in denen Religionsverfolgte unter dem Schutz liberaler kleinerer Landesfürsten ihre Frömmigkeit entfalten konnten, seien es die Mennoniten in Krefeld, die Waldenser in Hessen-Homburg oder Zinzendorfs Brüdergemeine in der Wetterau.

Dass selbst die bürgerliche Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts keine grundlegende Besserung für die Minderheitenkirchen bedeutete, arbeitet Voigt ebenso prägnant heraus wie den beschwerlichen Weg, den die ökumenische Bewegung seit den 1920er-Jahren gegangen ist, um Feindschaft und Misstrauen zwischen Landes- und Freikirchen zu überwinden. Dass es hier wichtige Erfolge gab, belegt die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen der Evangelisch-methodistischen Kirche und den Evangelischen Kirchen in Deutschland seit nunmehr drei Jahrzehnten.

Ein Fazit

Insgesamt kommt Voigt zu dem Schluss, dass verweigerte konfessionelle Vielfalt stets kirchliche und gesellschaftliche Verluste nach sich zog. Man darf das Buch daher nicht nur als Ertrag langjähriger Forschungen lesen, sondern auch als Plädoyer eines engagierten Ökumenikers für zwischenkirchliche Begegnungen »auf Augenhöhe«. In diesem Sinne verspricht Voigts verdienstvolles Werk eine gewinnbringende Lektüre für kirchengeschichtlich Interessierte, aber auch Impulse für den pastoralen Dienst und die vielen interkonfessionellen Gesprächsmöglichkeiten im beruflichen und privaten Umfeld. Denn der Umgang mit denen, die »anders glauben«, ist und bleibt für jeden Christen eine Herausforderung.

Dieser Artikel ist dem EmK-Magazin »unterwegs« 25/2018 vom 9. Dezember 2018 entnommen.

Der Autor

Dr. Michael Wetzel ist Historiker und leitet die Studiengemeinschaft für Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche. Kontakt über: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Zur Information

Karl Heinz Voigt: Kirchliche Minderheiten im Schatten der lutherischen Reformation vor 1517 bis nach 2017.
Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 382 Seiten, gebunden, 32,99 Euro, ISBN: 978-3-8471-0803-0