50 Jahre Kirchenvereinigung Von Karl Heinz Voigt  | 

Loslassen, um neues Leben zu gestalten

Beim Gottesdienst in der Peterskirche in Frankfurt am Main wird die Vereinigung mit symbolischer Handreichung von Personen unterschiedlicher Altersgruppen und aus verschiedenen Arbeitsbereichen vollzogen.
Beim Gottesdienst in der Peterskirche in Frankfurt am Main wird die Vereinigung mit symbolischer Handreichung von Personen unterschiedlicher Altersgruppen und aus verschiedenen Arbeitsbereichen jeweils »beider Seiten« vollzogen. Hier reichen sich Jugendliche gegenseitig die Hand.
Bildnachweis: EmK-Archiv
Die Kirchenvereinigung hat viel Erfreuliches bewirkt. Aber auch mancher Ballast ist mitgenommen worden. Von beidem erzählt Karl Heinz Voigt.
5 Minuten

Im Mai 2018 liegt in Deutschland die Vereinigung von Evangelischer Gemeinschaft (EG) und Methodistenkirche (MK) zur Evangelisch-methodistischen Kirche 50 Jahre zurück. Karl Heinz Voigt war bei den fünf Jahre dauernden Vereinigungsverhandlungen in Deutschland dabei und zieht Bilanz.

Führungsstärke war gefragt

Am letzten Sonntag im Mai 1968 sang die Gemeinde im Frankfurter Festgottesdienst als Schlusslied »Du wirst dein herrlich Werk vollenden ...«. Das war – in einem anderen Sinne – auch für die Zentralkonferenz eine Gewissheit, mit der die Delegierten und Konferenz-Besucher für sechs Tage in die Main-Metropole gekommen waren. Unverzichtbar erwies sich der führungsstarke Bischof Reuben H. Müller von der Evangelischen Gemeinschaft. Er war einer der beiden Vorsitzenden des Vereinigungsausschusses in den USA und Bischof für den europäischen Teil seiner Kirche. Neben ihm präsidierte Bischof Friedrich Wunderlich, ein klarer Befürworter der Vereinigung auf Seiten der MK. Dazu kamen weitere Repräsentanten der Weltkirche. Die beiden Vorsitzenden des Vereinigungsausschusses hatten die Verantwortung zu tragen: Der Berliner Superintendent Herbert Eckstein von der Evangelischen Gemeinschaft (EG) und der Stuttgarter Superintendent Hermann Jeuther von der Methodistenkirche (MK) standen dem Ausschuss vor, in den jede Kirche zwölf Personen entsandte. Damit die Vereinigungsausschüsse arbeitsfähig wurden, hatte Walther Zeuner von der MK mit einem Team den »Vereinigungsplan« ins Deutsche übersetzt. In den vielen Papieren und Protokollen der Konferenz wurden stets die Kürzel EG und MK gebraucht. Nach mehr als fünf Jahren konzentrierter Zusatzarbeit reisten die Verantwortlichen am Ende der letzten Zusammenkunft befriedigt wieder ab.

Die Verhandlungen

Die Leitungsebenen der Kirchen begegneten sich aufgeschlossen, vertrauensvoll und kompromissbereit, auch wenn um einige Fragen gerungen werden musste. So blieb der zukünftige Standort des westdeutschen Seminars lange Zeit umstritten. In der Frage der Berufung der Superintendenten kam es zu einem Kompromiss. Bisher waren die Superintendenten in der EG von den Konferenzen gewählt, in der MK vom Bischof berufen worden. So fand man eine Lösung, mit der alle leben konnten: Drei Personen sind durch die Konferenz zu wählen, eine davon beruft der Bischof als einen seiner Mitarbeiter. In der Frage des Bischofsamtes hatten beide Kirchen eine unterschiedliche Vorgeschichte. Die MK hatte das anglikanische Bischofsverständnis verändert, indem sie das dreifache Amt Diakon-Ältester-Bischof abschaffte. Sie sah allein den Pastor als ordinierten Ältesten vor, der verschiedene Funktionen ausüben kann – eben auch als Bischof.

Kaum bemerkte theologische Akzentverschiebung

Der Gründer der EG, Jakob Albrecht, hatte einen anderen Wurzelboden: In Pennsylvania, einem der 13 Gründerstaaten der USA, wirkte er unter deutschen Einwanderern unterschiedlicher kirchlicher Herkunft: Mennoniten, Reformierte, lutherische Pietisten und andere. Viele von ihnen waren aus Glaubensgründen ausgewandert. Alle waren eher skeptisch, wenn es um übergemeindliche Dienste ging. Dennoch setzte Albrecht auf das methodistische Vorbild.

Nach Albrechts Tod im Jahre 1808 lebte die junge EG trotz einer Ordnung für das Bischofsamt 31 Jahre lang ohne bischöfliche Führung. Die MK hatte bis zur Vereinigung im Jahr 1968 eine »Bischofsweihe« mit Segnung unter Handauflegung.

Für den neugewählten Bischof C. Ernst Sommer hieß es im Gottesdienstprogramm »Feierliche Amtseinführung «. Den Wandel der Worte im Programm wird kaum jemand bemerkt haben, viel weniger noch, was sich hinter Worten an Theologie verbergen kann.

Der Schlüssel: Zuhören und voneinander lernen

Warum schaue ich auf diese Unterschiede zurück? Sie sind ein Zeichen der Bereitschaft, voneinander zu lernen und aufeinander zu hören. Es ging nicht darum, jemanden »über den Tisch zu ziehen«. Das Vertrauen zueinander war in den Gesprächen gewachsen und der Mut voranzuschreiten, war fast unerschütterlich geworden. Das war nicht von Anfang an so.

Ich erinnere mich, dass ein Grundsatz die absolute Gleichheit in der Zahl der Delegierten war. Als ich in einem Ausschuss ein Referat zu halten hatte, aber nicht als Ausschuss-Mitglied angereist war, saß ich zunächst vor der Tür – um die Balance der Zahlen nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bischof Wunderlich von der MK nahm an Sitzungen nur teil, wenn auch sein EG-Pendant Bischof Mueller da war. Die Verantwortung lag in den Händen der beiden Vorsitzenden. Einer von ihnen, Gottlob Zaiser (EG), starb am 4. Februar 1965 überraschend. Herbert Eckstein wurde sein Nachfolger.

Mitunter schmerzliche Konsequenzen vor Ort

Selbst wenn an einem Ort Gemeinden beider Traditionen ansässig waren, hatten sie in der Regel keine so intensive Zusammenarbeit wie die Mitglieder der Vereinigungsausschüsse erlebt. Das hieß, sie mussten erst eine tragfähige Vertrauensbasis finden. Vor Ort ging es nicht um theologische Fragen und um eine gemeinsame Kirchenordnung. Es ging oftmals darum, wer seine liebgewordene Kirche aufgeben musste. Oder wer den gemeinsamen Chor leiten sollte. Hielt die neue Kirchenzeitschrift »Wort und Weg« den Vergleich mit dem »Botschafter« oder dem »Evangelist« aus? Die Kirchenvorstände konnten die Verlage zusammenlegen, das tat den Menschen in Bayern oder in Ostfriesland nicht weh. Aber die Kapelle aufzugeben, in der man Segen empfangen hatte, die Kinder getauft und man selbst getraut wurde, das gestaltete sich schwierig. Andernorts gab es – wie ich es erlebt habe – einen Aufschwung. Es wiederholte sich ein Prozess, wie er sich nach 1945 abgespielt hatte, als vertriebene Schwestern und Brüder aus Königsberg und Schlesien in die Gemeinden zu integrieren waren.

Ballast abwerfen hilft 

Kann man es den Gemeinden verdenken, wenn sie sich mit diesem neuen Anfang schwer taten? Liegt es nicht jedem nahe, das Gute festhalten zu wollen? Ja, man muss es ehrlich sagen: Da taten sich an manchen Orten und bis in den Ablauf der Konferenzen hinein Spannungen auf. Aber zum geistlichen und auch zum kirchlichen Wachstum gehört es, loslassen zu lernen, um das »neue Leben« zu gestalten.

Immer wieder müssen wir neu üben, dass Nachfolge heißt: unterwegs sein. Wer unterwegs ist, lässt auch manches Gepäck zurück, weil es auf einem langen Weg lästig werden kann. Vielleicht haben wir, neben vielem Erfreulichen unserer Vereinigung, manchen Ballast mitgenommen, der es uns schwer macht, frisch und mutig voranzuschreiten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unser guter Wille, Liebgewordenes festzuhalten und zu verteidigen unsere Blickrichtung nach innen gelenkt hat. Dabei sind wir doch berufen, der Sendung Jesu bis ans Ende der Erde zu folgen. Was gestern nicht war, kann morgen, wenn Gottes frischer Wind uns erfasst, mit neuem Mut passieren. Gott will es. Der Wind weht, lassen wir uns erfassen!

Der Autor

Karl Heinz Voigt ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche. Er ist ausgewiesener Kenner methodistischer Geschichte in Deutschland und Mitteleuropa mit vielen Veröffentlichungen zu Themen des Methodismus und ökumenischer Verbindungen. Er lebt im Ruhestand in Bremen. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Zur Information

Dieser Artikel ist zuerst im EmK-Magazin »unterwegs« 8/2018 vom 15. April 2018 erschienen