Zwanzig Jahre 9-11 Von Bischöfin i. R. Rosemarie Wenner  | 

»Eine tiefe Erschütterung der Welt«

Rauchschwaden steigen aus den Türmen des World Trade Centers in Lower Manhattan, New York City, auf.
Rauchschwaden steigen aus den Türmen des World Trade Centers in Lower Manhattan, New York City, auf, nachdem zwei Passagiermaschinen während der Anschläge vom 11. September 2001 in die beiden Türme eingeschlagen sind.
Bildnachweis: Wikimedia Commons / Michael Foran (CC BY 2.0)
Als die Türme zusammen brachen: »Noch heute kann ich die Angst, die ich damals empfand, innerlich abrufen«, erinnert sich Rosemarie Wenner. Gerade heute braucht es Menschen, die Wege suchen, wie sich Gottes Schalom verwirklichen lässt.
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Der 11. September 2001 gehört zu den Tagen, die sich tief ins Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt haben. Ich war damals bei der Tagung des Europäischen Methodistischen Rats in Moskau. Als wir mitbekamen, dass in New York Flugzeuge die Türme des World Trade Centers zum Einstürzen brachten, war an ein Abarbeiten der Tagesordnung nicht mehr zu denken. Wir fragten bange, was nun werden würde und beteten miteinander. Noch heute kann ich die Angst, die ich damals empfand, innerlich abrufen. 2996 Menschen aus 92 Ländern waren durch die Anschläge in New York und Washington DC ums Leben gekommen. »Nine Eleven« steht für eine tiefe Erschütterung der USA und der Welt, die Gräben aufriss und Reaktionen hervorrief, die die Welt veränderten.

Wieder Afghanistan

Unmittelbar nach den Anschlägen rief der damalige US-Präsident und Methodist George W. Bush zum Globalen Krieg gegen den Terrorismus auf. Wer sich an Maßnahmen der USA beteiligte, gehörte zu den Guten. Kritiker und Abwartende wurden beschuldigt, gemeinsame Sache mit den Bösen zu machen. US-Truppen nahmen zunächst in Afghanistan den Kampf gegen die Taliban auf. Heute gehen wiederum erschütternde Bilder um die Welt. In Kabul rennen Menschen um ihr Leben und klammern sich sogar an Flugzeuge. Die Taliban übernahmen kurz vor dem zwanzigsten Jahrestag von »Nine Eleven«, den US-Präsident Biden symbolträchtig als Zielpunkt für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ausgerufen hatte, die Herrschaft in Kabul. Die USA und ihre Verbündeten sind erneut schwer getroffen.

Gesucht: Eine Kultur des Friedens

Vor zwanzig Jahren gab es nicht nur Reaktionen, die die Spaltung vorantrieben. Unmittelbar nach den Anschlägen in New York und Washington DC rief der Ökumenische Rat der Kirchen dazu auf, in internationaler Solidarität mit allen, die weltweit Opfer von Terror, Gewalt und Unrecht wurden, eine Kultur des Friedens zu entwickeln. Eine Arbeitsgruppe des Bischofsrats unserer Kirche unter der Leitung von Bischof Walter Klaiber setzte sich kritisch mit der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA auseinander. 2004 wurde die Arbeitshilfe »Auf der Suche nach Sicherheit« veröffentlicht. Sie ruft dazu auf, »nach Wegen Ausschau zu halten, die uns zu einer Sicherheit führen, die auf Vertrauen, Gerechtigkeit und Versöhnung beruht«. Dem von vielen beschworenen Kampf der Kulturen setzten Menschen guten Willens respektvolle Begegnungen entgegen, um das Friedenspotential aller Religionen zu fördern.

Konfrontationen heute

Heute stehen wir wieder vor Weichenstellungen, nicht nur wenn es darum geht, die militärische und politische Niederlage in Afghanistan zu verarbeiten. Neue Konfrontationen entstanden, zum Beispiel zwischen den USA und China. Darüber hinaus sorgt die Pandemie für tiefe Verunsicherung und wir realisieren, mit welcher Wucht sich die Klimakrise entwickelt. Was ist zu tun? Polarisieren oder Frieden suchen? Abgrenzung oder Dialog? Den eigenen Wohlstand sichern und Flüchtlinge auf Abstand halten oder Gerechtigkeit für alle fördern?
Der Platz in New York, »Ground Zero« genannt, wurde inzwischen neugestaltet. Wo früher die Zwillingstürme standen, sind jetzt große Wasserbecken. Am Rande sind die Namen der Opfer in Bronzeplatten eingraviert. Viele beschreiben dieses Denkmal als eindrücklichen Ort der Stille. Daneben wurde ein neues World Trade Center errichtet. Spannungsvoll stehen die Einladung zum Gedenken an Unfassbares und eine Demonstration von Wirtschaftskraft und Stärke nebeneinander.

Liebe und Schmerz

Worauf fokussieren wir uns? Nehmen wir im Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus unsere Verletzlichkeit an und lassen uns vom Schmerz und von Liebe berühren? Suchen wir nach Wegen, wie sich Gottes Schalom für die ganze Schöpfung verwirklichen lässt? In dem Arbeitspapier des Bischofsrats von 2004 heißt es: »Gott zu vertrauen und Recht und Gerechtigkeit zu üben ist der einzige Weg zum Frieden und zur Sicherheit.« Dies zu beherzigen, erfordert auch 2021 Gebet, Demut, Koalitionen mit »Willigen«, die nach zukunftsträchtigen Wegen des Wirtschaftens und der Konfliktbewältigung suchen, und mutiges Handeln.

Die Autorin

Rosemarie Wenner ist als Bischöfin Mitglied des Bischofsrates. Sie lebt im Ruhestand in Nußloch. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.