Süddeutsche Jährliche Konferenz Von Michael Putzke, Klaus Ulrich Ruof  | 

Von guter Diagnose und schlechter Therapie

Packend und verständlich, aber auch klar und unmissverständlich war der Vortrag des Umweltwissenschaftlers Ernst Ulrich von Weizsäcker zum Thema »Klimawandel: Vorsorge, aber nicht Angst!«
Packend und verständlich, aber auch klar und unmissverständlich war der Vortrag des Umweltwissenschaftlers Ernst Ulrich von Weizsäcker zum Thema »Klimawandel: Vorsorge, aber nicht Angst!«
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Ein Wissenschaftler erklärt den Mitgliedern der Süddeutschen Jährlichen Konferenz den Klimawandel. Eine aufmerksame Zuhörerschaft ist ihm sicher.
3 Minuten

Am gestrigen Samstag hatte die Süddeutsche Jährliche Konferenz wegen pandemiebedingter Änderungen des Tagungsverlaufs nur einen halben Sitzungstag. Davon war wiederum die Hälfte der zur Verfügung stehenden Sitzungszeit einem aktuellen Thema gewidmet. Eingeladen dazu war der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Thema setzt zuversichtlichen Akzent

Beim Thema der Konferenz, »Mitmischen ist möglich«, geht es auch darum, wie sich Kirche in gesellschaftliche oder umweltpolitische Themen einbringen soll. Das war Anlass für die Einladung des Naturwissenschaftlers Ernst Ulrich von Weizsäcker, der an nationalen und internationalen Forschungsstätten tätig war. Mit seiner Themenformulierung, »Klimawandel: Vorsorge, aber nicht Angst!«, setzte der international weitgereiste Vortragsredner und Buchautor einen zuversichtlichen Akzent. Trotzdem fiel seine Bestandsaufnahme zum Klimawandel ernüchternd aus: »Wir haben in den letzten drei Jahren und in Ansätzen auch in den Jahrzehnten davor Katastrophen-Jahre erlebt.« Dazu zählten großflächige Waldbrände auf fast allen Kontinenten, die Zunahme starker Hurrikans, Dürresommer und Flutkatastrophen. Besonders der Anstieg des Meeresspiegels sei bedrohlich und eine »Katastrophe für etwa eine Milliarde Menschen«, deren Lebensraum in Küstenregionen extrem gefährdet sei.

Eine neue Aufklärung ist nötig

Die Erderwärmung hänge, so Weizsäcker, unmittelbar mit dem Anstieg der CO2-Konzentration zusammen und dieser wiederum mit der Wirtschaftsleistung. Je höher die Wirtschaftsleistung pro Kopf, desto höher die CO2-Emissionen. Weizsäckers Schlussfolgerung: »Wirtschaftswachstum führt zur Klimakrise«. Das offensichtlich nötige Umdenken im Blick auf die Grundmechanismen der Weltwirtschaft werde aber von den meisten Ökonomen abgelehnt. »Für die Lösung der Klimakrise brauchen wir technologische und politische Heldentaten«, erklärte Weizsäcker und fügte hinzu, man brauche heute »eine neue Aufklärung«. Seine Forderung: eine »neue Aufklärung für eine ›volle Welt‹«.

Er bezieht sich damit auf eine Forderung des Ökonomen Herman Daly, der von 1988 bis 1994 die Weltbank leitete. Dieser sei »ganz gewiss kein ökologischer Spinner«, so Weizsäcker. Daly habe darauf aufmerksam gemacht, dass man die »volle Welt« von heute von der »leeren Welt« von früher unterscheiden müsse. Früher habe es wenige Menschen gegeben, deswegen seien die Wirkungen der Wirtschaft auf die Umwelt gering geblieben. Heute aber gäbe es durch die Zunahme der Bevölkerung viele Menschen und eine geradezu riesige Wirtschaft, die nicht mehr nachhaltig sei.

»Würden Sie zu so einem Arzt gehen?«

Seit 1950 sei die Weltbevölkerung dramatisch gestiegen. In dieser »vollen Welt« müsse man zu Familienplanung, Essgewohnheiten, Landwirtschaft, Ressourcennutzung und wirtschaftliche Automatismen ganz andere Überlegungen anstellen. Seit 1950 beherrsche die »Spezies Mensch die Welt« und »die Natur leidet von Tag zu Tag mehr«, hob Weizsäcker hervor. Zwar sei das Bewusstsein, man müsse mehr für das Klima tun, gewachsen. Aber viele der Reaktionen in Politik und Wirtschaft seien immer noch vom alten Wachstumsdenken geprägt. Im Bild könne man das so sagen, erklärte Weizsäcker: Die Menschen seien halbwegs gute Diagnoseärzte, wenn man die globale Erwärmung als Krankheit begreife, aber »wir sind Versager als Therapieärzte«. Denn viele der vorgeschlagenen Therapien würden die Krankheit nur noch schlimmer machen. »Würden Sie zu so einem Arzt gehen?«, fragte er eindringlich?

Zwar nicht in zwanzig, aber in etwa hundert Jahren

Es brauche heute politische Heldentaten, wie der »Green New Deal« für Europa, mit dem Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, die ökologische Umorientierung der europäischen Wirtschaft forderte. Als Heldentat könne auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 29. April dieses Jahres gelten, weil dieses um der künftigen Generationen willen mehr Klimaschutz forderte, so Weizsäcker.

Als technische Heldentaten gelten heute mehr Solarenergie, der Kohleausstieg, Elektroautos und die energetische Häusersanierung. Vielen Menschen sei dies durchaus bewusst. Allerdings dürfe nicht nur der Energiesektor betrachtet werden. Es gehe auch um die Landwirtschaft und die Kreislaufwirtschaft, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. In dieser Hinsicht stecke die Kreislaufwirtschaft noch in den Kinderschuhen, und die Steigerung der Ressourceneffizienz habe auch noch unvorstellbares Potential. Es ist möglich, beteuerte Weizsäcker, »fünfmal mehr Kapazität aus einer Kilowattstunde oder aus Mineralien herauszaubern«. Das seien die Herausforderungen, vor denen die Menschheit stehe. In einem Zeithorizont von »zwar nicht zwanzig, aber in etwa hundert Jahren« werde es noch ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die Lage sei ernst, aber der in wenigen Tagen 82 Jahre alt werdende Wissenschaftler strahlte trotzdem eine Ruhe aus, die seine Formulierung »Vorsorge, aber nicht Angst!« eindrücklich untermauerte.

Die Autoren

Michael Putzke ist leitender Redakteur des zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Magazins »Unterwegs«. Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Weiterführende Links

Internetangebot der Süddeutschen Konferenz
Vortrag von Ernst Ulrich von Weizsäcker (Video)

Zur Information

Das Gebiet der Süddeutschen Konferenz umfasst Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie Teile Nordrhein-Westfalens. Dort gibt es 231 Gemeinden mit 27.515 Kirchengliedern und Kirchenangehörigen der Evangelisch-methodistischen Kirche.