Beauftragung für Damaris Hecker Von Klaus Ulrich Ruof  | 

»Radikale Offenheit« leben

Vor einem Buntglasfenster steht eine fröhlich lächelnde Frau mit heller Kurzhaarfrisur. Sie trägt eine bunte Bluse und senfgelbe Strickjacke. Es ist Pastorin Damaris Hecker, die EmK-Beauftragte für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen.
Pastorin Damaris Hecker, die neue Beauftragte für die EmK-Kontaktstelle für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen sieht einen kirchlichen Auftrag darin, »eine radikale Offenheit und Willkommensmöglichkeit zu leben«.
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Die »Kontaktstelle für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen« ist seit dem Jahreswechsel unter neuer Leitung.
5 Minuten

Damaris Hecker ist die neue Beauftragte der »Kontaktstelle für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen«. Seit 2015 wirkt sie als Pastorin der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) im baden-württembergischen Heidelberg. Zum Jahreswechsel übernahm sie nebenamtlich diese Aufgabe von ihrer Vorgängerin Franziska Demmler. Die Erfurter Gemeindepastorin widmet sich zwischenzeitlich anderen kirchlichen Aufgaben.

Menschen sollen in der Kirche Heimat finden

Hecker wurde in Frankfurt am Main geboren und wuchs im nördlich von Frankfurt gelegenen Taunusstädtchen Friedrichsdorf auf. Bereits früh beschäftigte sie sich mit der Lebenssituation von Menschen mit anderen sexuellen Identitäten. Wesentlicher Auslöser dafür waren Erfahrungen in ihrem eigenen familiären Umfeld, als sich eine Person zu ihrer Homosexualität bekannte. Als Jugendliche erlebte sie dabei sehr schmerzlich, wie »die Kirche« mit nicht-heterosexuellen Menschen umging. Die in der Kirche und christlichen Kreisen häufig praktizierte Ausgrenzung von Menschen, die eine andere sexuelle Identität haben, beschäftigte Hecker sehr.

Diese Erfahrung nahm sie mit in ihr Studium am Theologischen Seminar der EmK in Reutlingen (heute Theologische Hochschule Reutlingen) Anfang der 2000er-Jahre. Wie der Umgang mit Menschen gestaltet werden kann, »die eben eine andere Lebensrealität haben und nicht unserem weithin üblichen und festgelegten Verständnis von Sexualität entsprechen«, war der Theologiestudentin ein ständiger Wegbegleiter in dieser Zeit. Für sie selbst sei das wichtig gewesen, um Klarheit für ihr Glaubensverständnis und damit auch für ihre Rolle und Aufgabe als künftige Pastorin zu erlangen. Diese Auseinandersetzung war ihr wichtig, weil die EmK zu dieser Zeit praktizierende Homosexuelle durch ausgrenzende Formulierungen in ihrer Ordnung vom Dienst in der Kirche ausschloss.

Ihr kirchlicher Dienst führte Hecker zunächst für fünf Jahre bis 2011 als Pastorin in die evangelisch-methodistische Paulusgemeinde nach Nürnberg. Anschließend war sie drei Jahre lang als Jungscharsekretärin im überregionalen Reisedienst zur Begleitung und Entwicklung der Jungschararbeit in den EmK-Gemeinden Süddeutschlands unterwegs. Schon in dieser Zeit war es ihr sehr wichtig, »dass Menschen in all ihrer Verschiedenheit in der Kirche Heimat finden«. Seit 2015 ist Hecker als Pastorin im baden-württembergischen Heidelberg. Seither lebt sie den Ansatz einer offenen Gemeindearbeit, in der Menschen unterschiedlicher Lebensweisen willkommen sind.

»Eine Nacht mit Gott«

Im Sommer vergangenen Jahres erhielt die Pastorin teilzeitlich den Auftrag einer Gemeindegründung für »queere« Menschen im Raum Heidelberg. Das aus dem Englischen entlehnte Wort ist die inzwischen gebräuchliche positive Selbstbezeichnung für Personen, die nicht heterosexuell sind. Hinzu kam jetzt die Beauftragung für die »Kontaktstelle für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen«. Beide Beauftragungen verortet Hecker mit einem etwa anderthalb Jahre zurückliegenden Berufungserlebnis. Im Telefon-Interview schildert sie dieses besondere Erlebnis als »eine ›Nacht mit Gott‹ – was eigentlich gar nicht so mein Frömmigkeitsstil ist«. In dieser Nacht habe sie »eine Berufung empfangen, um mit ›queeren‹ und anderen Menschen zusammen eine Gemeinde zu bilden, in der die ›radikale Gemeinschaft aller‹ gelebt wird«.

In Gesprächen mit der Kirchenleitung und mit anderen Personen habe sich dieses neue Aufgabenfeld für sie bestätigt. Als Pastorin mit Ehemann und drei Kindern bezeichnet sich Hecker nicht selbst als queer, versteht sich aber als »Verbündete« dieser Personengruppe. Mit ihrem Beruf als Pastorin und mit einem kirchlichen Auftrag habe sie die besondere Chance, für diese Menschen »eine radikale Offenheit und Willkommensmöglichkeit zu leben«. Es sei eine Gelegenheit, queeren Menschen ein Angebot zu machen und ihnen Lebensräume anzubieten, sodass »diese die Annahme und Liebe Gottes erleben könnten, die sie zuvor in Kirchen und Gemeinden oft nicht erfahren haben«.

Menschen in ihrer Vielfalt willkommen heißen

Ihre Aufgabe in der Kontaktstelle sieht sie als Angebot in verschiedener Weise. Menschen sollen ein Gegenüber finden und wissen, »dass sie sich an mich wenden können und hier einen sicheren Ort finden, an dem sie offen sprechen können, ihre Fragen, Sorgen und Ängste formulieren können und Annahme erfahren«. Diese seelsorgerlichen Kontakte erfolgten, so Hecker, per E-Mail oder telefonisch. In Einzelfällen könne der Austausch auch über einen längeren Zeitraum hinweg stattfinden.

Hecker ist dankbar dafür, dass sich der deutsche Teil der EmK im Herbst 2022 für queere Menschen in allen kirchlichen Bereichen öffnete. Leider sei es in Gemeinden trotzdem noch nicht selbstverständlich, dass queere Menschen sich in der Seelsorge oder gar öffentlich zu ihrer Lebensweise bekennen könnten. Dass sich dann auch Familienangehörige oder Menschen aus dem persönlichen Umfeld schwertun, gehöre mit zu dieser Wirklichkeit in Kirche und Gemeinden. Deshalb, so Hecker, könnten sich auch Personen aus dem Umfeld von Menschen, die eine queere Lebensweise haben, Kontakt aufnehmen und Hilfe oder Beratung in Anspruch nehmen.

Darüber hinaus sieht Hecker in der Kontaktstelle auch die Aufgabe, Gemeinden oder Pastoren und Pastorinnen mit Informationen zu unterstützen. So könnten diese ihre Gemeindearbeit weiterentwickeln, in der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt willkommen sind.

Verletzungen erkennen und überwinden

Außerdem sieht Hecker schon das Angebot und die Präsenz dieser Kontaktstelle im offiziellen kirchlichen Angebot als Zeichen der Kirche nach innen und außen: Die kirchliche Arbeit entwickelt sich weiter und will sich in der Annahme von Menschen noch mehr am Vorbild Jesu orientieren. Dieser habe Menschen angenommen, ohne zuvor Forderungen zu stellen. Jesus habe sich auf die Menschen eingelassen und mit ihnen die Begegnung gesucht. Diese Art der bedingungslosen Offenheit wünscht sich Hecker noch viel mehr in der praktischen Gemeindearbeit.

So könnten geschehene Verletzungen erkannt und im Umgang miteinander überwunden werden. Solche Verletzungen entstünden beispielsweise dadurch, dass Gemeinden unausgesprochen und doch deutlich signalisierten, wer kommen dürfe und wer nicht zur Gemeinde passe. Manchmal würde auch klar formuliert, dass queere Menschen »kommen dürfen, sich aber ändern müssen und ihre Sexualität nicht praktizieren dürfen«. Wenn Gemeinden und einzelne Personen in den Gemeinden solche und andere verletzende Verhaltensweisen erkennen und diese überwinden, könnten Erneuerungsprozesse in Gang kommen. Dann könnten Menschen, »die verletzt und enttäuscht wurden, deren Leben davon geprägt ist und die in Kirchen viel Ausgrenzung und Leid erfahren haben, Vertrauen fassen und sich der Kirche und der Liebe Gottes nähern«.

Es gehe darum, »dass wir miteinander lernen, die Vielfalt und Annahme zu leben – oder wenigstens zu versuchen, das zu leben«, beschreibt Hecker die Aufgabe. Gleichzeitig dokumentiert die Einschränkung in dieser Aussage auch den nüchternen Blick für die immer noch vorkommenden Grenzen in der Praxis der Gemeinden und der Kirche. Es habe sich schon viel entwickelt, ist Hecker dankbar. »Die radikale Offenheit ist aber noch ausbaufähig.« Sie selbst will daran mit ihrem ganzen Einsatz mitwirken.

 

Weiterführende Links

EmK-Kontaktstelle für Menschen verschiedener Lebens- und Liebensweisen 
Forum christlicher Regenbogengruppen in Deutschland  

Der Autor

Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Zur Information

»Queer« ist eine aus dem Englischen entlehnte positive Selbstbezeichnung für Personen, die nicht-heterosexuell sind. Es kann entweder bedeuten, nur Menschen des eigenen Geschlechts anziehend zu finden (homosexuell) oder mindestens zwei verschiedene Geschlechter zu begehren (bi-, pan- poly- oder asexuell). Ursprünglich wurde »queer« im Sinne von »sonderbar, eigenartig, suspekt« verwendet, um Homosexuelle abzuwerten. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird »queer« als ins Positive gewendete Selbstbezeichnung vor allem von nicht-heterosexuellen Menschen gebraucht.