Die Crux der Friedensbotschaft Von Bischof Walter Klaiber  | 

Frieden ist dort, wo Gerechtigkeit ist

Das Bild zeigt eine Lokomotive der Deutschen Bahn im klassischen Weiß mit rotem Seitenstreifen. An der Seite trägt sie einen in Rot angebrachten Schriftzug. Darauf steht der sogar mit einem Ausrufezeichen versehene Gruß: Frohe Weihnachten!
Die an einem Zug angebrachte Grußbotschaft macht keine »Frohe Weihnachten!« und bringt nicht den Frieden. Was dafür nötig ist, beschreibt der im Ruhestand lebende Bischof Dr. Walter Klaiber in einem Artikel.
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
In den Nachrichten geht es um kaum lösbare Konflikte. Gerade deswegen ist die Botschaft von Weihnachten so kostbar. Darüber schreibt Walter Klaiber.
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Manchmal, wenn ich ans Christfest denke, überfällt mich ein Alptraum. Ich sehe mich in einer festlichen Gemeinde, die erwartungsvoll auf die Weihnachtsbotschaft hört. Freudig lese ich den Ausruf aus dem Lukasevangelium, Kapitel 2, Vers 14: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens«. Da steht ein Mann auf, die Bibel in der Hand, und ruft: »Weh euch, ihr falschen Propheten, die ihr das Volk verführt und sagt: ›Friede!‹, wo doch kein Friede ist!« (Hesekiel 13,10.16). Wie soll ich reagieren? Hat er nicht Recht?

Frieden verkünden angesichts so vieler Kriege?

Dabei weiß auch die biblische Botschaft um die Realität von Krieg und Streit in der Welt. Jesus spricht sogar von der Zunahme solcher Auseinandersetzungen: »Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so erschreckt nicht: Es muss geschehen.« Er warnt aber davor, sich dadurch in Endzeitpanik versetzen zu lassen: »Aber das Ende ist noch nicht da« (Markus 13,7). Was sich hier zeigt, ist schlicht die Realität menschlichen Unvermögens, in Frieden zu leben!

Aber zugleich gilt für die biblische Botschaft, was der Ökumenische Rat der Kirchen 1948 unter dem Eindruck zweier Weltkriege formuliert hat: »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein« – Gott will Frieden, und von dem Retter und Herrscher, den er senden wird, heißt es: »Er wird Frieden gebieten den Völkern« (Sacharja 9,10). Die Psalmen preisen Gott als den, »der den Kriegen Einhalt gebietet bis ans Ende der Erde, der Bogen zerbricht, Speere zerschlägt und Wagen im Feuer verbrennt«. Gott tritt für totale Abrüstung ein. Wenn er für Recht zwischen den Nationen sorgen wird, dann »werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Keine Nation wird gegen eine andere das Schwert erheben, und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen« (Jesaja 2,3-5). 

Göttlicher Frieden ist kein Diktat-Frieden

Aber warum geschieht das alles nicht schon lange? Warum hat nicht schon Jesus sichtbaren Frieden zwischen den Menschen durchgesetzt? Zur Zeit seiner Geburt war es im Römischen Reich relativ friedlich; der Mittelmeerraum war »befriedet«, wie man so schön sagt. Das deutet freilich auch an, dass die »Pax Romana«, der römische Frieden, vor allem auf der Macht römischer Legionen beruhte. Nicht umsonst heißt ein lateinisches Sprichwort: »Willst du Frieden, so rüste dich für den Krieg« – eine Weisheit, die leider auch heute noch oft zitiert wird.

Das aber ist nicht der Friede, von dem die Bibel spricht. In Sacharja 9,10 heißt es deswegen auch nicht, wie Luther übersetzt, der kommende Herrscher werde Frieden gebieten, sondern er werde Frieden verheißen oder verkünden oder stiften. Er kommt ja nicht mit einem großen Heer, sondern demütig auf einem Esel. Gottes Frieden ist kein Diktat-Frieden! Doch wie schafft Gott dann Frieden? Geht das »ohne Waffen«? Oder muss irgendwann doch das himmlische Heer in einer blutigen Entscheidungsschlacht eingreifen, wie das im Kapitel 19 der Offenbarung eindrücklich geschildert wird?

Gottes Friede ist mehr

Gott will mehr, als den menschlichen Widerstand niederschlagen. Gottes Frieden ist Schalom. Dieses hebräische Wort macht klar: Wahrer Friede herrscht nicht schon dann, wenn die Waffen schweigen. Schalom ist das alle umfassende Miteinander, das ungefährdete Wohlergehen und die heilvolle Geborgenheit in einer Gemeinschaft. Diesen Frieden gibt es nicht ohne Gerechtigkeit, nicht ohne ein Miteinander, durch das eine Gesellschaft und ihre Mitglieder den Herausforderungen ihrer Zeit, den Bedürfnissen der einzelnen und der Gemeinschaft, aber auch dem Fehlverhalten mancher gerecht werden. Eindrücklich beschreibt dies Psalm 85,9-11: Der Herr »verkündet Frieden seinem Volk und seinen Getreuen, damit sie nicht wieder der Torheit verfallen. Nahe ist denen seine Hilfe, die ihn fürchten, dass Herrlichkeit wohne in unserem Land. Gnade und Treue finden zusammen, es küssen sich Gerechtigkeit und Friede. Treue sprosst aus der Erde, und Gerechtigkeit schaut vom Himmel hernieder« (Zürcher Bibel).

Das aber zu verwirklichen, scheint menschliche Möglichkeiten zu überfordern. Darum wird Frieden nicht einfach gefordert, sondern verkündet. Aber andererseits bricht dieser Friede auch nicht einfach über die Menschen herein wie ein schöner Sommertag oder ein lang ersehnter Regen. So gewiss er nur von Gott zu schaffen ist und sein Geschenk und seine Gabe bleibt, so gewiss ist er auch Aufgabe der Menschen. Gott will sein Heil und seinen Frieden nicht ohne uns verwirklichen. 

Die Weihnachtsbotschaft, dass Gott durch sein Kommen in Jesus Christus Frieden schafft, bleibt darum ein Signal der Hoffnung. Auch wenn dieser Friede Utopie scheint, auch wenn ich nicht sagen kann, wie Gott ihn unter uns ohne Gewalt, nur mit der Macht seiner Liebe schaffen wird, so ist dieser Friede doch eine Wirklichkeit, auf die ich hoffen darf und auf die ich zuarbeiten kann. Jesu Weg von der Krippe zum Kreuz wird durch die Botschaft der Engel und die Nachricht von seiner Auferstehung zum Signal für die Gewissheit: Auch wo sie zu unterliegen scheint, siegt die vorbehaltlose Liebe.

Frieden verkünden, gerade wenn Krieg herrscht

Die Weihnachtsbotschaft macht freilich auch schmerzlich bewusst, wie oft gerade auch Christen darin versagt haben, sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Doch vor allem liegt in ihr die Ermutigung, nicht aufzugeben, diesen Frieden zu suchen: zuerst im Kleinen, in der Familie, der Gemeinde, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz, aber dann darauf zu hoffen und dafür zu beten, dass auch in der Gesellschaft und in der Politik Wege gefunden werden, ein Stück dieses Friedens zu verwirklichen. Dass es nach 1945 in Europa so lange Frieden gab, ist nicht zuletzt dem Einsatz christlicher Politiker zu verdanken.

Also: Wir dürfen, ja müssen Frieden verkünden, gerade wenn Krieg herrscht. Wir müssen bewusst machen: Wahrer Friede wird nicht dort sein, wo die stärkeren Bataillone und die besseren Raketen siegen, sondern dort, wo Gerechtigkeit herrscht. Es ist eine schmerzliche Wahrheit, dass es Formen des Terrors und der Aggression gibt, gegen die man sich nur mit Waffen wehren kann. Aber beide Konflikte, die uns zurzeit so sehr bewegen, zeigen: Waffen können die eigentlichen Probleme nicht lösen und keinen wirklichen Frieden schaffen. Auf den zu hoffen und für ihn zu arbeiten, dazu macht uns die Botschaft von Gottes Frieden Mut.

Dieser Artikel ist dem zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Magazin »unterwegs« der Evangelisch-methodistischen Kirche – Nummer 26+27/2023 vom 17. Dezember 2023 – entnommen.

Der Autor

Dr. Walter Klaiber lebt im Ruhestand in Tübingen. Von 1989 bis 2005 war er als Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) für die Zentralkonferenz Deutschland zuständig. Zuvor war er als Dozent für Neues Testament am Theologischen Seminar der EmK in Reutlingen tätig und mehrere Jahre auch Rektor dieser theologischen Ausbildungsstätte für den deutschsprachigen Raum. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.