NJK-Tagung in Berlin Von Michael Putzke, Klaus Ulrich Ruof  | 

Wie ein Schuhverkäufer im Barfußland

Erfahrener Stadtmissionar und leidenschaftlicher Motivator für einladende Gemeindearbeit: Alexander Garth, Pfarrer der evangelischen Landeskirche in Wittenberg.
Erfahrener Stadtmissionar und leidenschaftlicher Motivator für einladende Gemeindearbeit: Alexander Garth, Pfarrer der evangelischen Landeskirche in Wittenberg.
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
»Das Frohmachende ist hochinfektiös.« Was das bedeutet, erklärte der kreative landeskirchliche Pfarrer Alexander Garth den Mitgliedern der NJK.
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Die Mitglieder der in Berlin tagenden Norddeutschen Jährliche Konferenz (NJK) der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) stellten sich am Samstag dem Thema »Mission und Gemeindebau in einer zunehmend säkularisierten Welt«. Dazu referierte Alexander Garth, Pfarrer der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Als Gründer und 15 Jahre lang Begleiter der »Jungen Kirche Berlin« ist er ausgewiesener Kenner missionarischer Arbeit in säkularer Umgebung. Seit Herbst vergangenen Jahres ist er Pfarrer in Wittenberg an der ehemaligen Predigtkirche Martin Luthers. In reformations-touristischer Umgebung stellt er sich jetzt dort der Herausforderung missionarischer Gemeindearbeit.

Die Sehnsucht boomt, aber die Kirchen leeren sich

»Ich träume davon, dass Menschen ihre Freunde und Nachbarn in die Kirche mitbringen – das bewegt mir das Herz!« Diese Sehnsucht durchdringe sein Leben, seit er als Jugendlicher zum Glauben kam, erklärte der launige Redner den Delegierten der NJK. Die in Europa gesellschaftspolitisch allseits akzeptierte Säkularisierung sei kein Megatrend, dem die Kirche sich anpassen oder gar weichen müsse. Im weltweiten Kontext betrachtet sei vielmehr ein »Megatrend zur Religiosität« festzustellen, der wissenschaftlich bestätigt sei.
Aus seiner missionarischen Gemeindepraxis und seinen Studien und internationalen Besuchsreisen sehe er die kirchliche Arbeit in Europa und besonders in Deutschland in einer »Kirchenmodellkrise«. Diese Krise sei in der Geschichte der Kirche durch die »Konstantinische Wende« und die seit der Reformation von den Landesherren bestimmte Religionszugehörigkeit begründet. Der Glaube sei ursprünglich eine alternative Lebensform gewesen. Durch die Veränderung zur Staatsreligion sei die Kirche zu einem Machtfaktor geworden, der zu einer »korrumpierten Religion« geführt habe.
Gegen die alles beherrschende Macht der Kirche sei die Aufklärung entstanden, die letztlich zur Selbstsäkularisierung der Kirche führte. Das Transzendente und die Erfahrungen des Glaubens seien aus dem Alltag der Kirche verschwunden. Schlussendlich sei der Glaube in der kirchlichen Praxis darauf reduziert worden »Gutes zu tun«. Diese »Ethisierung des Glaubens« habe, so Garth, die Menschen dahin gebracht, dass sie keinen » lieben Gott« mehr bräuchten, um ein »guter Mensch« zu sein. Das wiederum habe zur Folge, dass missionarische Arbeit in Deutschland mit einem Kommunikationsproblem zu kämpfen habe. »Wir schaffen es nicht, die Sehnsucht der Menschen nach Erfahrungen mit Gott, nach Erlösung, nach Sinn, nach Gemeinschaft richtig zu kommunizieren.« Die Sehnsucht boome zwar, so Garth, aber die Kirchen leerten sich. »Wir kommen uns vor wie Schuhverkäufer in einem Land, in dem alle barfuß gehen wollen«, beschrieb der umtriebige und kreative Pfarrer sehr bildhaft diese Spannung.

Die Realität wird über das Gefühl erschlossen

Als Quintessenz seiner Erfahrung beschreibt er »fünf Zugänge, wie Menschen zum Glauben kommen«. Es gehe in der missionarischen Arbeit darum, »die Sehnsucht nach dem lebendigen Gott in den Herzen von Menschen zu wecken«. Das gelinge, wenn die »Sinnfrage der Menschen« ernstgenommen werde. Menschen wollten wissen, wofür sie lebten. Der Glaube sei für viele zwar lächerlich, gleichzeitig ahnten viele: »der Gedanke an eine Welt ohne Gott ist absurd«, ist Garth überzeugt. Spaß und Genuss gäben auf die Sinnfrage keine Antwort. Das sei die Chance für die Kirche. Dazu müssten Christen einladend-sympathische »Beziehungen« mit Nicht-Christen leben, so sein zweiter Zugang. Dadurch könne die Sehnsucht der Menschen nach Erfahrungen mit Gott freigelegt werden. Außerdem müsse die Gemeindearbeit Räume öffnen für »spirituelle Erfahrungen«, weil für den postmodernen Menschen Realität über Gefühle erschlossen werde. Eine nur intellektuelle Argumentation sei nicht zielführend. Mit dem Bedürfnis nach »Gemeinschaft« und der Bereitschaft für »soziales Engagement« beschrieb Garth zwei weitere Zugänge zum Glauben. Besonders das soziale Engagement sei ein Zugang für die Menschen, die »helfen wollen« und als »Weltverbesserer« einen Teil dazu beitragen wollten, die Zustände in dieser Welt zu verändern. Wenn Gemeinden dafür Angebote machten, könnten die Menschen »das Evangelium entdecken«, ist Garth überzeugt.

Neuorientierung nötig

Wenn kirchliche Gemeindearbeit diese fünf Zugänge zum Glauben ernstnehmen wolle, »müssen wir uns heute auf dem religiösen Markt profilieren«, forderte Garth von den Hauptamtlichen und Laien der NJK ein. Bürgerliche, »normale« Gemeinden hätten es da schwer. Das gelte nicht nur für die Landeskirche, sondern auch für freikirchliche Gemeinden. Deshalb müssten Kirchen und Gemeinden ihre Arbeit »neu orientieren«. Der Blick in die Alte Kirche, bevor Glaube zur Staatsreligion wurde, könne dafür sehr hilfreich sein. In der Alten Kirche »waren Familien Missionsstationen«. »Jeder Christ war ein Jünger«, beschrieb Garth diese urtypische Form missionarischen Lebens. Neben diesem Blick zurück gehöre der aufrichtige Blick auf Kirchen außerhalb Europas dazu. Ohne Überheblichkeit müsse gefragt werden, »warum und wie sie wachsen«.

Sympathisch von Gott reden

Gemeinde könne sich dieser Herausforderung stellen, wenn sie bereit sei, »dem Umfeld zu dienen«, »den Ort zu wechseln« und »einladend und wertschätzend vom Glauben zu erzählen«. Nur wenn Gemeinde für das konkrete Umfeld relevant und dafür auch bereit sei, an andere Orte zu gehen, werde sich etwas grundlegend ändern können. Immer noch darauf zu warten, »dass die Menschen ja zu uns kommen können«, sei zu wenig. Gemeinde merke dann aber auch sehr schnell, dass dies eine aufrichtige Begegnung mit den Menschen erfordere. »Jesus ist das Beste, das diesem Planeten je passiert ist«, betont der Referent, weshalb Christen »offen, wertschätzend, freundlich und auf Augenhöhe den Menschen begegnen sollen«. Die Einzigartigkeit Jesu Christi sei in sympathischer Weise zu verkündigen. Weder sollten Menschen dabei bedrängt, noch andere Religionen abgewertet werden. »Wir haben eine einladende Botschaft«, wirbt Garth für diese Grundhaltung. »Wir können von Jesus in sympathischer Weise sprechen, dass wir den anderen gewinnen und dieser sein Herz aufmacht«. »Eine Gemeinde, die aus solchen Menschen besteht, ist einladend«, betont Garth seine Überzeugung einmal mehr. Denn: »Das Frohmachende ist hochinfektiös.«

Die Autoren

Michael Putzke ist leitender Redakteur des zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Kirchenmagazins »Unterwegs«. Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland in Frankfurt am Main. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Zur Information

Das Gebiet der Norddeutschen Konferenz umfasst 100 Gemeinden mit rund 9.900 Kirchengliedern und Kirchenangehörigen in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, sowie in Teilen von Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.