Herausforderung für kirchliche Einrichtungen
Im Januar trafen sich neunzehn Personen aus den Seelsorgebereichen im Verbund der Evangelisch-methodistischen Diakoniewerke (EmD) im Erfurter Augustinerkloster zu einer Fortbildung. Dabei ging es um das Thema des ärztlich assistierten Suizids und das kirchlich-diakonische Handeln.
Von »Sünde« war nicht die Rede
Die teilnehmenden Personen kamen aus evangelisch-methodistischen Einrichtungen von Agaplesion, des Diakoniewerks Martha-Maria und des Diakonats Bethesda Schweiz. Mit Fragen zur persönlichen Auseinandersetzung starteten sie ins Thema: »Käme der ärztlich assistierte Suizid für mich in Frage?«, »Wäre ich bereit, einen Menschen dabei auch seelsorgerlich zu begleiten?« oder »Wäre der ärztlich assistierte Suizid für mich und in der Begleitung von Menschen eine Möglichkeit, die hilft, die Würde des Menschen zu bewahren?«
Auffällig in dieser ersten Gesprächsrunde war, dass der Begriff »Sünde« nicht fiel. Fast alle hatten Berührung mit Menschen, die sich in einer aussichtslosen Situation vorfanden, bedingt durch eine fortschreitende unheilbare Erkrankung. Viele hatten Erfahrung damit, wie wichtig in diesen Situationen für die Betroffenen die Verfügbarkeit eines ärztlich verordneten Medikamentes ist, das sie selbständig nehmen können und das ihnen einen sicheren Tod ermöglicht.
Theologische Impulse für die Positionierung kirchlicher Einrichtungen
Vortragsredner für die Fortbildung war Stephan von Twardowski, der als Professor für Systematische Theologie an der evangelisch-methodistischen Theologischen Hochschule Reutlingen lehrt. Er betonte, dass mit dem Sterbewunsch eines Menschen, der Hilfe in Anspruch nehmen möchte, immer deutlich wird, in welcher Art von Beziehungen dieser Mensch lebt – zum eigenen Sein in der Welt, in seiner Zugehörigkeit zu anderen und wie er Spuren, Erinnerungen und Bleibendes in Raum und Zeit hinterlässt. Der individuelle Sterbewunsch eines Menschen betreffe, so von Twardowski, immer auch andere Menschen, die mit ihm in Beziehung stehen.
Wie unter theologischen Gesichtspunkten mit individuellen Sterbewünschen von Personen umzugehen ist, entfaltete der Reutlinger Systematik-Professor an verschiedenen Ansätzen. Der Ansatz Matthias Zeindlers, eines reformierten Theologen, soll hier etwas näher beschrieben werden. Er beschreibt den Glauben als Wahrnehmung des ganzheitlichen Lebens mit seinem Leid und Schmerz. Der Glaube anerkenne die Verletzlichkeit des Lebens, ja sehe das Leben selbst als Wagnis der Verletzlichkeit.
Personen, die im Seelsorgedienst solche Menschen begleiten, die einen ärztlich assistierten Suizid in Anspruch nehmen wollen, seien dabei besonders herausgefordert. Sie und andere Menschen, die als Beistand in dieser Situation gewünscht sind, könnten diesen Schritt im vollen Glauben an die radikale Zuwendung Gottes begleiten, auch wenn sie für sich selbst nie diesen Weg wählen würden. Zeindlers Ansatz geht sogar so weit, dass der Entschluss im Glauben an den Gott des Lebens und in der Hoffnung auf die Auferweckung gefasst werden könne, vorausgesetzt die Not und das Leiden des Menschen seien so groß, dass ihn keine Bindung oder Beziehung mehr in dieser Welt halte.
Selbstverständlich wird dabei immer vorausgesetzt, dass derjenige, der den Sterbewunsch äußert, dies nicht aus einer ihn aktuell belastenden psychischen Erkrankung heraus wünscht und dass dieser Wunsch über einen längeren Zeitraum stabil bleibt.
Ein Film zum Nach- und Weiterdenken
Einen sehr persönlichen Einblick in die Entscheidung eines jungen Mannes für den ärztlich assistierten Suizid gewährte den Tagungsteilnehmenden der Dokumentarfilm »Der Tod – Die beste Entscheidung meines Lebens« aus der ZDF-Reihe »37° Grad«. Dem Zuschauer wird ein tiefer Einblick gegeben in die Dynamik einer solchen Entscheidung. Das ethische Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung auf der einen Seite und Fürsorge oder Lebensschutz auf der anderen Seite wird eindrücklich nachgezeichnet. Gezeigt wird, wie die Menschen, die zu diesem jungen Mann gehören, seine Entscheidung erleben und erleiden und doch solidarisch mit ihm sind. So regt dieser Dokumentarfilm auf eine berührende Weise zum Nach- und Weiterdenken an.
Stellungnahmen evangelisch-methodistischer Einrichtungen
Auf der Tagung wurde auch deutlich, dass die verschiedenen evangelisch-methodistischen Einrichtungen in der Stellungnahme zu der Möglichkeit des ärztlich assistierten Suizids unterschiedlich aufgestellt sind. Sie nehmen auch unterschiedliche Haltungen ein in der Frage, ob ein solcher ärztlich-assistierten Suizid in der Einrichtung durchgeführt werden darf. Einig sind sich alle Einrichtungen darin, dass ein assistierter Suizid nicht von Mitarbeitenden der Einrichtungen durchgeführt werden darf. Ob allerdings ein schwerkranker Bewohner oder Patient die Einrichtung oder das Krankenhaus verlassen muss, wenn er einen ärztlich assistierten Suizid wünscht, wird in den Einrichtungen unterschiedlich bewertet. Bei Agaplesion ist dazu eine Stellungnahme in Vorbereitung. Das Diakoniewerk Martha-Maria hat bereits eine Orientierungshilfe dazu verfasst. Auch die Einrichtungen, die durch die Stiftung Diakonat Bethesda geführt sind, haben ihre Position dazu verfasst.
Weiterführende Links
Film: Der Tod – Die beste Entscheidung meines Lebens (ZDF-Mediathek)
Orientierungshilfe für Begleitende, Beratende, Versorgende, Leitende in Diensten und Einrichtungen der Diakonie (PDF; Diakonie Texte 02.2022)
Empfehlenswerter Artikel: Matthias Zeindler, Seelsorge vor der Seelsorge, in: Michael Coors, Sebastian Farr (Hg.), Seelsorge bei assistiertem Suizid. Ethik, Praktische Theologie und kirchliche Praxis; S. 51 – 71.
Die Autorin
Sabine Schober ist Pastorin der Evangelisch-methodistischen Kirche und als Seelsorgerin am evangelisch-methodistischen Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau tätig. Kontakt über: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.