Achtzig Jahre Ende 2. Weltkrieg Von Bischof Werner Philipp  | 

Dem Frieden Raum und der Hoffnung eine Stimme geben

Graumelierte Haare, Oberlippen- und Kinnbart, lilafarbenes Hemd, schwarz-weiß gestreifte Krawatte, schwarzes Jackett und ein freundliches Lächeln auf den Lippen: Werner Philipp.
»Zukunft und Hoffnung sind möglich. Sie sind Geschenk und kommen doch nicht von allein.« So schreibt Bischof Werner Philipp D. Min. in seinen Gedanken zum achtzig Jahre zurückliegenden Ende des zweiten Weltkriegs.
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Zum Gedenken an das Kriegsende vor 80 Jahren erzählt Bischof Werner Philipp eine persönliche Erinnerung und formuliert einen Auftrag für die Zukunft.
2 Minuten

Aufgewachsen bin ich in der DDR. Der Krieg – das war für mich kein eigenes Erleben, sondern etwas, das wie ein Schatten in den Gesichtern meiner Eltern und Großeltern lag. In meiner Erinnerung aus Kindheitstagen ist immer noch lebendig, wie mein Vater unter Tränen aus dem unteren Teil des Fernsehschranks die Patrone hervorholte, die einst seinen Vater tötete, oder wie meine Mutter von der Flucht aus Schlesien erzählte, die sie als Kleinkind erlebte.

Die Trümmer habe ich nicht gesehen – höchstens die der Frauenkirche in Dresden, die bis 1993 als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung dienten. Ich konnte nur ahnen, dass die »Stunde Null« – dieser 8. Mai 1945 – für meine Vorfahren ein Tag des Überlebens, des Erschreckens, der Unsicherheit war. Zugleich war es der Anfang von etwas Neuem, das noch niemand kannte.

In der DDR wuchs ich auf mit klaren Antworten: Wir seien die Antifaschisten, die aus den Fehlern der Geschichte gelernt hätten. Im Westen hingegen würden sich noch die Nazischergen herumtreiben. Doch selbst die Geschichte meiner Familie war nicht so klar. Über das Leben in der Nazidiktatur und darüber, wer wie in den Krieg involviert war, erfuhr ich nichts. Von meiner Schuldirektorin erzählte man, dass sie nach dem Krieg »von ›Braun‹ zu ›Rot‹ gewechselt« sei.

Als Jugendlicher suchte ich nach Halt, den mir der »real existierende Sozialismus« nicht zu geben vermochte. In einem Land, in dem Hoffnung oft mit Parolen verwechselt wurde, fand ich sie nicht in den Reden der Partei. Aber ich fand sie in der Bibel, nachdem ich in einer kleinen erzgebirgischen Gemeinde zum Glauben gekommen war. Ein Vers aus dem Buch des Propheten Jeremia hat sich damals und bis heute tief in mein Herz geschrieben:

»Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.« (Jeremia 29,11)

Dieses Wort Gottes, einst an die weggeführten Israeliten in Babylon geschrieben, war wie ein Lichtschimmer in einer Zeit, in der vieles grau war. Es sagte mir: Du bist nicht ausgeliefert. Es gibt Gedanken des Friedens – selbst, wenn du sie noch nicht siehst. Es gibt Hoffnung – auch wenn dich die Geschichte geprägt hat. Es gibt Zukunft – und du bist Teil davon.

Heute, achtzig Jahre nach Kriegsende, lebe ich in einem geeinten Deutschland. Oft frage ich mich: Warum vergessen wir so schnell unsere Geschichte? Was machen wir aus der geschenkten Freiheit? Was heißt es, Frieden zu leben – nicht nur im Großen, sondern im Kleinen, im Alltag, in den Gesprächen mit denen, die anders denken?

Der Krieg, so weit er auch zurückliegt, ist nicht vorbei. Sein Schrecken zeigt sich heute an vielen Orten in dieser Welt. Seine Narben sind in unserem Umfeld sichtbar – in Ängsten, Vorurteilen und in neuen Formen von Hass. Darum dürfen wir das Erinnern nicht dem Geschichtsunterricht überlassen. Es bleibt unsere Aufgabe, den Frieden zu suchen – nicht nur zu wünschen.

Der Vers aus dem Buch Jeremia ist für mich heute nicht weniger kraftvoll als damals in der DDR. Er ist ein Versprechen, aber auch ein Auftrag. Zukunft und Hoffnung sind möglich. Sie sind Geschenk und kommen doch nicht von allein. Sie wachsen dort, wo Menschen einander zuhören, vergeben, Verantwortung übernehmen. Sie keimen, wo wir dem Frieden Raum geben – und der Hoffnung eine Stimme.

Der Autor

Werner Philipp D. Min. ist als Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche für das Gebiet der Zentralkonferenz Deutschland zuständig. Der Dienstsitz ist in Frankfurt am Main. Kontakt über: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de