Über den Zaun geschaut Von Michael Putzke  | 

Ein kleines Zeichen christlicher Solidarität

Mirella Manocchio, die Präsidentin der Methodistischen Kirche in Italien
»Wir entdecken neu den Wert und die Kraft des Gebets«, sagt Mirella Manocchio, die Präsidentin der Methodistischen Kirche in Italien, angesichts der Situation ihrer Kirche während der Corona-Pandemie.
Die Corona-Pandemie hat Italien schwer getroffen, auch die Kirchen. Mirella Manocchio, die Präsidentin der Methodistischen Kirche in Italien, im Interview.
4 Minuten

Michael Putzke, Redakteur des deutschen Kirchenmagazins »unterwegs« der Evangelisch-methodistischen Kirche interviewt die Präsidentin der Methodistischen Kirche in Italien. Mirella Manocchio spricht dabei über die Situation in diesem von der Krise schwer getroffenen Land,über das Ergehen der Menschen und die Lage der Kirchen.

Michael Putzke: Wie ist die Lage Italiens in der Corona-Krise im Moment?

Mirella Manocchio: Italien war das erste Land in Europa, aus dem über die tödliche Pandemie des Corona-Virus und seine Folgen berichtet wurde. Es war auch das erste Land, das Kranke und Tote aufgrund dieser Virusinfektion meldete. Unsere Regierung versuchte, die Situation in den Griff zu bekommen, indem sie die Ausbreitung des Virus eingrenzte. Deswegen wurden die Aktivitäten nach und nach eingestellt, die Freizügigkeit der Menschen wurde stark beschränkt. Der Tourismus ist zum Stillstand gekommen. Ab Anfang März wurde auch die Industrieproduktion eingestellt.

Es muss für die Menschen in Italien schwer sein, die soziale Distanz zu akzeptieren, die jetzt notwendig ist. Wie gehen sie damit um?

Es wurde von uns ein großes menschliches und wirtschaftliches Opfer verlangt, das unser Land mit viel Mut erbringt. Die Menschen drücken ihre Gefühle von Nähe und Freundschaft auf vielfältige und kreative Weise aus: Sie spielen und singen Volkslieder oder unsere Nationalhymne von Balkonen und aus Fenstern. Sie hängen Transparente heraus mit der Aufschrift »Alles wird gut«. Sie kochen für Nachbarn oder Menschen in Not, sie teilen Lebensmittel mit Obdachlosen und bringen Geschenke und Essen für ältere Menschen, die allein sind.

Was braucht Italien jetzt am meisten?

Bis jetzt sind mehr als zwanzigtausend Menschen gestorben, aber die Zahl der Infizierten ist geringer als noch vor Wochen. Die Gesundheitskrise ist nicht vorbei, aber die Situation verbessert sich. Italien steht jetzt vor einem weiteren Problem: die Wirtschaftskrise wegen der Ausgangssperre. Unsere Regierung versucht, Arbeitern, Händlern, kleinen und großen Industriebetrieben zu helfen, aber es ist nicht einfach, weil es einen großen Bedarf gibt und die finanzielle Situation im Land nicht einfach ist. Italien braucht, wie andere Länder auch, europäische Wirtschaftshilfe.

Wie wirkt sich diese Krise auf die Methodistische Kirche in Italien aus?

Diese komplexe Situation hat unsere Kirche und verschiedene Gemeinden stark in Mitleidenschaft gezogen. Tatsächlich durchlebt unsere Kirche eine ausgesprochen schwierige Zeit, vielleicht die schwierigste seit dem Zweiten Weltkrieg. Seit Ende Februar sind alle kirchlichen Aktivitäten eingestellt worden. Einige Menschen in unseren Gemeinden sind krank geworden oder trauern um Angehörige.

Wir setzen all unsere Kreativität und technischen Möglichkeiten ein, um die fehlende räumliche Nähe auszugleichen und als Kirche handlungsfähig zu bleiben.

Wir entdecken neu den Wert und die Kraft des Gebets, die persönliche Geste. Wir haben das biblische Wort und unsere Worte auf eine neue Art und Weise angewandt. Unser Bedürfnis nach Spiritualität und Nähe ist auf unerwartete Weise und in neuen kreativen Formen wieder aufgetaucht.

Wie haben Sie Ostern gefeiert?

An Ostern habe ich einen evangelischen Gottesdienst im Fernsehen verfolgt, und nachmittags über eine Videokonferenz an einer Andacht teilgenommen. Was Ostern für mich bedeutet, habe ich in einer Osterandacht geschrieben, die in unserer Kirche veröffentlicht wurde: »Mit Christus wird die Auferstehung nicht in die letzte Zeit aufgeschoben, sondern sie ist für uns eine fortwährende Dimension. In uns tragen wir die zu erwartenden Zeichen der endgültigen Auferstehung, die eine vollständige Befreiung von allen Formen der Unterdrückung und Diskriminierung, von Angst und Hass ist. Ostern zu feiern, selbst in den dunklen Zeiten des Corona-Virus, bedeutet, die Tür der Zukunft zu durchschreiten, die Gott für uns geschaffen hat. Es bedeutet, sich einer Mission zu öffnen, die alle Gläubigen bevollmächtigt und befähigt. Der Glaube an diese Verkündigung des Lebens, das Ostern ist, ist das, was uns zum Zeugnis und zur Mission führt.«

Die Methodistische Kirche in Italien engagiert sich für die Betreuung von Flüchtlingen. Wie hat sich diese Arbeit verändert?

Auch unsere diakonische Arbeit musste umgestaltet oder ausgesetzt werden. Das ist nicht einfach, denn sie richtet sich an Kranke, an Senioren und Menschen am Rande der Gesellschaft, die gerade jetzt mehr Nähe und Hilfe brauchen. Unsere Gemeinden und kirchlichen Arbeitszweige haben darauf reagiert. Sie fanden Kraft im Zuspruch Gottes, gerade jetzt weiterzuarbeiten. In Rom und Mailand zum Beispiel setzten die methodistischen Gemeinden ihre diakonische Arbeit fort: Sie verteilen Frühstück, Kleidung und Worte des Trostes an Obdachlose unter den von der Regierung festgelegten Vorsichtsmaßnahmen.

Unsere Arbeit mit Flüchtlingen geht trotz allem weiter. Insbesondere versuchen wir den vielen Migranten, die in Süditalien ausgebeutet werden, durch die Projekte der »Föderation der Evangelischen Kirchen in Italien« gesundheitlich und materiell zu helfen. Die Methodistische Kirche und die Waldenserkirche haben acht Millionen Euro der Steuer »Otto per Mille « zur Unterstützung von Projekten bereitgestellt, die von der Gesundheits- und Wirtschaftskrise besonders betroffen sind. Natürlich kann dies eine so schwierige Situation nicht lösen, aber es wird ein kleines Zeichen der christlichen Solidarität sein.

Was beschäftigt Sie noch in dieser Krise?

In dieser Zeit der Pandemie und der Ausgangssperre ist es nicht einmal möglich, Verstorbene würdig zu beerdigen. Das ist wirklich schwer für Familien und Freunde. Die Kommission für Gottesdienst und Liturgie der baptistischen, methodistischen und waldensischen Kirchen, der auch ich angehöre, hat Liturgien entwickelt, um Verstorbener in Videokonferenzen zu gedenken und Trauerfeiern ohne Sarg zu halten.

Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Dieser Artikel ist dem zweiwöchentlich erscheinenden Magazin »unterwegs« der Evangelisch-methodistischen Kirche – Nummer 9/2020 vom 26. April 2020 – entnommen.


Der Autor
Michael Putzke ist leitender Redakteur des zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Magazins »unterwegs«. Kontakt: redaktion(at)emk.de.