Kirchengeschichte Von »unterwegs«  | 

Eine Liebe fürs Leben

Foto von Charles Wesley: World Methodist Museum, Lake Junaluska, NC
Foto von Charles Wesley: World Methodist Museum, Lake Junaluska, NC
World Methodist Museum, Lake Junaluska, NC
Es war Liebe auf den ersten Blick: 1747 begegneten sich der Dichter Charles Wesley und die junge Sarah Gwynne zum ersten Mal. Nur zwei Jahre später heirateten sie. Martin E. Brose stellt dieses außergewöhnlich begabte Paar vor.
5 Minuten

Ja, es war Liebe auf den ersten Blick, als Sarah Gwynne jr. ihn sah. Ihr Vater hatte sie im August 1747 zu einem Besuch bei Charles Wesley mitgenommen. Der Altersunterschied von 19 Jahren – sie war 20 Jahre alt, er 39 – spielte bei beiden keine Rolle. Anschließend besuchte Charles die Familie Gwynne auf ihrem Familienbesitz in Garth, Wales. Obgleich er nur fünf Tage dort blieb, hatte ihn die gesamte Familie durch seine Predigten als Gottes Bote lieb gewonnen. Einen Monat später erhielt Sarah den ersten Brief von Charles, in dem er ihr gestand: »Mein Herz ist dir tief verbunden.«

Sarah Gwynne wurde am 12. Oktober 1726 als fünftes Kind einer reichen und angesehenen Familie geboren, die ihren Wohnsitz in Garth, Wales, hatte. Das Haus steht heute noch. Von ihm aus bietet sich ein herrlicher Blick auf den Fluss Llynfi. Damals wurde hier ein großer Haushalt geführt, zu dem neben den neun Kindern zwanzig Angestellte und häufig ebenso viele Gäste gehörten.

Sarah, die sich schon von ihrer frühen Kindheit an für Religion interessiert hatte, nahm eifrig am Abendmahl teil. Sie hatte für die Predigten des Evangelisten Howell Harris (1714–73) ein offenes Ohr und begleitete ihn oft mit ihrem Vater bei seinen Diensten. Ihre Mutter sah das zunächst gar nicht gern. Aber nachdem sie John Wesleys theologische Grundsätze und den Charakter seines Bruders Charles näher kennengelernt hatte, ließ sie ihre Vorurteile fallen und öffnete ihr Haus für methodistische Verkündigung.

Sarahs Ausbildung lag in der Hand von Privatlehrern, die ihr Können zu einer Vollkommenheit brachten, die damals für eine Frau sehr ungewöhnlich war. Ihr hohes Niveau in Musik, besonders Gesang, zeichnete sie aus. Dieses Talent stellte sie in den Dienst der Kirche. Wenn sie im Gottesdienst den Gesang anführte, erfreute und überraschte sie oft die Zuhörer.

Sarahs Mutter legte großen Wert darauf, dass ihre Tochter auch nach der Hochzeit finanziell abgesichert war. Denn was kann man von einem methodistischen Reiseprediger ohne feste Anstellung erwarten? So kam es zu langwierigen Verhandlungen, bis man sich darauf einigte, dass 100 Pfund pro Jahr, die Charles vom Verkauf seiner Liederbücher und anderer Werke erwarten konnte, zufriedenstellend seien.

Immer Platz für Gäste

Am 8. April 1749 traute John Wesley, der mit dieser Verbindung völlig einverstanden war, Sarah und Charles. Am 1. September zogen Sarah und Charles mit ihren beiden Schwestern Elizabeth und Rebecca in ein Mietshaus in der Charles Street in Bristol. Das Haus war für die nächsten 22 Jahre ihr Heim, bis Sarah 1771 mit ihrer Familie nach London zog.

Obgleich das Haus klein war, fanden die durchreisenden Prediger dort immer einen Platz zum Schlafen. Sie öffnete ihr Haus für John Nelson, John Downes, William Shent und für andere Pioniere des Methodismus. Es machte ihr große Freude diese Männer zu bewirten. Obgleich Sarah ihren Mann liebend gern bei seinen Predigtreisen unterstützt hätte, merkte sie nach einigen Versuchen, dass sie den Strapazen, wochenlang bei Wind und Wetter auf dem Pferderücken zu verbringen, nicht gewachsen war. Ab 1752 war sie durch ihre Kinder an das Haus gebunden.

Am 21. August 1752 wurde ihr erster Sohn geboren. Doch der kleine »Jacky« sollte nur seinen ersten Geburtstag überleben. Sarah hob von ihrem Sohn eine Locke auf und schrieb auf den beiliegenden Zettel: »Haare von meinem lieben Jacky Wesley, der am Montag, d. 7. Januar 1754, im Alter von einem Jahr, vier Monaten und 17 Tagen an Pocken starb. Ich werde zu ihm gehen, aber er wird nie wieder zu mir zurückkehren.« Charles und Sarah hatten insgesamt acht Kinder, von denen nur drei am Leben blieben: Charles jr. (1757–1834), Sally (1759–1828) und Samuel (1766–1837).

Der Winter 1753/54 brachte für sie und Charles doppeltes Leid. Sarah erkrankte während der Abwesenheit ihres Mannes an Pocken. Drei Wochen lang ging es um Leben oder Tod, dann genas Sarah. Doch die 26-Jährige hatte ihre Schönheit verloren; ihr Gesicht war so entstellt, dass man sie kaum wiedererkannte. Charles erklärte oft, dass er sie mehr denn je liebe, da sie älter aussehe und nun viel besser zu ihm passe.

Kein religiöser Zwang

Sarah und ihr Mann unterrichteten ihre Kinder selbst. Nur gelegentlich wurde ein Hauslehrer hinzugezogen. Ihr Erziehungsstil war genau das Gegenteil von dem, was ihr Mann Charles in Epworth erlebt hatte: Seine Mutter Susanna hatte »das Besiegen des kindlichen Willens« als eines der Erziehungsziele bezeichnet. Um keine Abneigung gegen alles Religiöse zu erzeugen, zwangen Charles und Sarah ihre Kinder nicht, an den Versammlungen der Methodisten teilzunehmen. Sie betonten aber immer wieder den Vorzug einer christlichen Gemeinschaft und erinnerten sie daran, dass der Methodismus ihnen zeige, was lebendiger Glaube sei.

Im Mai 1771 zog Sarah mit ihrer Familie nach London, wo sie in der Chesterfield Street Nr. 1 in Marylebone ein neues Heim fand. Einige Tage vor seinem Tod bat Charles Sarah, Folgendes aufzuschreiben:

In Alter und Schwäche befangen, ein sündiger Wurm hier im Leben: Wer wird mich Sünder erlösen? Herr Jesus, du, meine einzige Hoffnung! Gib Kraft meinem Fleische und Herzen. O! Könnt ich ein Lächeln gewinnen von dir und zur Ewigkeit eingehn!

Charles Wesley starb am 29. März 1788, er wurde 80 Jahre und drei Monate alt; Sarah war mit ihm 39 Jahre verheiratet. Sie überlebte ihren Mann um 34 Jahre. Nach dem Tod seines Bruders Charles kümmerte sich John Wesley bis zu seinem eigenen Tod 1791 in umsichtiger Weise um Sarah und ihre Kinder. Auch ihre Kinder Charles und Sally kümmerten sich liebevoll um sie. Nach dem Tod ihres Mannes musste sie sich stark einschränken, da sie von ihren drei Kindern keine Unterstützung erhalten konnte, im Gegenteil: Gelegentlich musste Sarah ihnen finanziell unter die Arme greifen, da ihre unverheirateten Kinder Charles jr. und Sally bis zu ihrem Tode bei ihr wohnten. Als ihr Schwager John 1791 starb, verschärfte sich ihre finanzielle Notlage.

Sarah begleitete ein Leben lang ihre drei Kinder mit Liebe und Fürsorge. Das galt besonders auch für schwierige Zeiten, wie sie ihr etwa Samuel bereitete, der ständig in finanziellen Nöten war und 1817 in eine »Pflegeanstalt für Geisteskranke « eingewiesen worden war. Einen ihrer letzten Briefe schrieb Sarah im 92. Lebensjahr an ihn: »Lieber Sam, 18. Dezember 1817, ich lebe noch, bin aber fast blind. Meine Liebe hält dich fest, wo immer du auch bist. Ich hoffe, dass du bald gesund zu deiner dich immer liebenden Mutter entlassen wirst.«

»Am frühen Morgen des 28. Dezembers 1822 fiel sie in einen angenehmen Schlummer, aus dem sie mit der tröstlichen Gewissheit erwachte, dass ihr Heiland sie liebe … Als man sie fragte, ob sie Jesus kostbar fände, antwortete sie: ›Oh, ja!‹ ›Und bist du glücklich?‹ Sie antwortete heiter: ›Ja!‹ Sanft atmend sprach sie bis zum Nachmittag fast gar nichts mehr, bis sie – ohne Kampf oder Stöhnen – ihren Geist aufgab. Sie wurde 96 Jahre alt.« Sarah wurde in der Familiengruft auf dem alten Friedhof von St. Marylebone beerdigt, in der auch ihr Mann Charles Wesley seine letzte Ruhe gefunden hatte und später ihre beiden Söhne beerdigt wurden.

Entnommen aus: »unterwegs« 13/2017