Zum Ewigkeitssonntag Von Martina Schäufele  | 

Von der Abschiedsfeier zum Fest des Lebens

Auf einem Friedhof: Im Vordergrund ein Erdhaufen, dahinter das ausgehobene Grab und ein älterer Mann in Jackett und Jeans. Links auf einem Weg und rechts zwischen Gräbern etwa fünfzig Menschen unterschiedlichen Alters in meist farbiger Kleidung.
Immer häufiger steht auf Einladungen zur Trauerfeier die Bitte: »Kommt bunt gekleidet, nicht in schwarz-weiß«. Eines der Zeichen, wie sich die Kultur des Trauerns verändert.
Bildnachweis: Iris Hahn
»Kommt bunt gekleidet, nicht in schwarz-weiß.« Ein Hinweis in manchen Trauerkarten, wie sich Trauerrituale verändern. Ein Grund, sich damit zu befassen.
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In einem Artikel des EmK-Magazins »unterwegs« geht es um Bestattungskultur und Trauerfeiern in heutiger Zeit. Anlässlich des Ewigkeitssonntags, mit dem das Kirchenjahr endet, ein Anlass, sich diesem Thema zuzuwenden. Die Journalistin Martina Schäufele gibt Einblicke in neue Trends und Formen des Abschieds.

Beatles bei Beerdigungen? Noch vor zehn Jahren war so etwas kaum vorstellbar. »Ich habe das zum ersten Mal erlebt, als ich selbst unter den Trauergästen war bei einer Beerdigung in Frankfurt«, berichtet Uwe Saßnoswski, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) im Bezirk Bruchsal-Kraichtal. An den Beatles-Song, der vom Band abgespielt wurde, erinnert sich Saßnowski gut: »The long and winding road«, auf Deutsch so viel wie »Der lange, kurvenreiche Weg«. Das Lieblingslied des Verstorbenen lasse sich gut in einer Trauerrede aufgreifen, findet der Pastor. Ein freier Redner habe damals die Ansprache gehalten.

Dass Angehörige von Verstorbenen eigene Musik zur Beerdigung mitbringen und auch Lieder vorschlagen, die nicht in einem Gesangbuch stehen, ist heute nicht mehr außergewöhnlich. Immer mehr Menschen entscheiden sich für individuelle und kreative Trauerfeiern. »Früher waren Trauerfeiern geprägt von Abschied, sie hatten etwas Abschließendes«, sagt Saßnowski. Heute dagegen stehe bei Beerdigungen die Feier des Lebens im Vordergrund, es gehe um Hoffnung und Auferstehung. Immer häufiger lese er passend dazu auf Einladungen die Bitte: »Kommt bunt gekleidet, nicht in schwarz-weiß«, so der EmK-Pastor.

Bestattungsformen ändern sich

Der Glaube an ein Leben nach dem Tod nimmt einer Emnid-Umfrage von 2016 zufolge allerdings mit zunehmendem Alter ab. Fast die Hälfte aller über 60-jährigen in Deutschland sind der Ansicht, dass nach dem Tod nichts mehr kommt.

Wie die Gesellschaft insgesamt, hat sich auch die Bestattungskultur in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Sie befindet sich in einem Prozess der Individualisierung, der immer noch anhält. Kirchliche Rituale verlieren mehr und mehr an Bindungskraft. Bei Todesfällen sind die Kirchen deshalb längst nicht mehr selbstverständlich erste Anlaufstelle. Für eine Bestattung ohne kirchliche Beteiligung muss man sich heute nicht mehr rechtfertigen.

Bestattungsunternehmen haben den »Markt der Trauerrituale« längst für sich entdeckt und gehen auf die Wünsche der Kunden punktgenau ein. Sie werben mit individuellen und flexiblen Angeboten, etwa mit Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und Multifunktionsräumen – wahlweise gestaltet für den christlichen Gottesdienst oder die weltliche Trauerfeier. Zudem spielt die Digitalisierung eine Rolle: Online-Gedenkseiten und virtuelle Trauerfeiern ermöglichen es, Erinnerungen zu teilen und den Abschied auch über Distanz zu gestalten. Um ein »virtuelles Grablicht zu entzünden«, schreibt man den Namen und den Todestag der verstorbenen Person neben das Bild einer Kerze, so dass es jeder im Internet ansehen kann.

Trauernde stehen nach dem Tod ihrer Angehörigen vor einer Flut von Angeboten und Möglichkeiten. In ihrem Infoheft greift die Bruchsaler Friedhofsverwaltung diese Situation beispielhaft auf: »Plötzlich ging alles so schnell. Wie sollte die Großmutter nun beigesetzt werden? Hatte sie nicht einmal von einer Feuerbestattung gesprochen? Und mit der Trauerfeier, wie war das noch einmal?«

Trend der »Reerdigung«

Traditionelle Erdbestattungen und Feuerbestattungen mit Gräbern auf Friedhöfen sind nach wie vor verbreitet, aber auch alternative Formen wie Baumbestattungen oder Seebestattungen werden immer beliebter. In extra dafür ausgewiesenen Wäldern wird die Asche der Verstorbenen in einer biologisch abbaubaren Urne an den Wurzeln eines Baumes beigesetzt. Der Baum wird mit einer Namenstafel markiert. Blumenschmuck ist im Wald nicht erlaubt. Bei einer Seebestattung bekommen die Angehörigen eine Karte mit den Längen- und Breitengraden der Stelle im Meer, wo die Beisetzung stattgefunden hat.

»Reerdigung« heißt der neuste Trend. Dabei wird der Leichnam mit einem Pflanzensubstrat aus Heu und Stroh in einen sogenannten Kokon gebettet. Bei Zuführung von Luft sorgen natürliche Mikroorganismen bei Temperaturen von bis zu siebzig Grad Celsius dafür, dass der Körper in vierzig Tagen zerfällt. Übrig bleiben Erde und Knochen. Zugelassen ist diese Bestattungsform bisher nur in Schleswig-Holstein.

Trauer braucht einen Ort

Eine wichtige Rolle für die Trauerbewältigung spiele »ein gekennzeichneter, konkreter Bestattungsort«, gibt man in der Bruchsaler Friedhofsbroschüre zu bedenken. »Friedhöfe sind ein von Grund auf menschliches Kulturerbe. Menschen brauchen öffentliche, und nicht geheime Orte der Trauer.« Verbreitet sei »der Gedanke, dass man kein Grab brauche« – etwa »um den Kindern nicht mit Grabpflege zur Last zu fallen«. »Doch es ist nicht selten, dass Angehörige mit einer anonymen Bestattung nicht zurechtkommen. Sie bedauern, ihren Angehörigen anonym, ohne persönlichen Ort des Gedenkens auf einem Gemeinschaftsfeld ohne persönliche Angaben, ohne Namen bestattet zu haben.«

Friedhöfe hingegen seien »menschenwürdige, positive Lebens-Zeichen und eine zeitkritische Antwort auf den aktuellen Trend, anonym zu bestatten«, heißt es in der Broschüre weiter. Paradoxerweise eröffnet die fortschreitende Individualisierung in der Gesellschaft offenbar auch die Möglichkeit, auf genau das zu verzichten, was das Individuum auszeichnet: den eigenen Namen.

EmK-Gemeinde sorgt für Würde und Respekt

Zwar ist die Urnen-Beisetzung auf dem Flensburger Friedhof »Friedenshügel« anonym – den genauen Ort kennt nur der Friedhofsgärtner. »Aber die Beerdigung wird dennoch würdig und liebevoll durchgeführt«, sagt Gillian Horton-Krüger, Pastorin in der Flensburger EmK-Gemeinde. Mit Aussegnungsfeiern für Verstorbene ohne Angehörige setzt sich die norddeutsche Gemeinde schon seit 2006 dafür ein, dass Menschen, die arm und einsam verstorbenen sind, nicht einfach »verscharrt« werden.

Elf Menschen wurden Anfang Oktober beigesetzt. Ungefähr vier Mal im Jahr gibt es in Flensburg solche Termine für Bestattungen, die vom Sozialamt bezahlt werden. »Seit einigen Jahren werden die Termine und die Namen der Toten von der Stadt veröffentlicht«, berichtet Horton-Krüger. »Seitdem kommen Bekannte, Freunde und Nachbarn der Verstorbenen und nehmen an der Zeremonie teil. Manchmal bringen sie sogar Musikinstrumente mit.« Die große Wiese innerhalb des Friedhofs, das Grabfeld für anonyme Bestattungen, sei für viele von ihnen anschließend der Ort zum Trauern.

»You‘ll never walk alone« – niemand wird alleine gehen, niemand soll alleine gehen – ist die Überschrift, die die Flensburger Gemeinde ihren Einsätzen auf dem Friedhof gegeben hat. Ein Lied, nicht von den Beatles, aber aus einem Broadway-Musical und bekanntgeworden als Fußballhymne.

 

Dieser Artikel ist dem zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Magazin »unterwegs« der Evangelisch-methodistischen Kirche – Nummer 22/2024 vom 3. November 2024 – entnommen.

Autorin

Martina Schäufele ist Journalistin und engagiert sich in Bruchsal in der evangelisch-methodistischen Gemeinde. Kontakt über: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de