Homosexualitätsdebatte | 

Vorsichtiger Optimismus

Wie mit Konflikten positiv umgegangen werden kann und trotz Unterschieden Gemeinschaft möglich ist, erklärten Bildungswerkleiter Wilfried Röcker (links) und Buchautor David N. Field.
Vortragsredner mit Humor: Wie mit Konflikten positiv umgegangen werden kann und trotz Unterschieden Gemeinschaft möglich ist, erklärten Bildungswerkleiter Wilfried Röcker (links) und Buchautor David N. Field in spannenden Vorträgen beim Stuttgarter Studientag zum Buch »Zu lieben sind wir da«.
Der Vorschlag der Mitte erscheint als liberal. Das war eine der Entdeckungen bei einem Studientag zur Auseinandersetzung in der EmK um Homosexualität.
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Am vergangenen Samstag, dem 12. Januar, trafen sich in Stuttgart rund 160 Interessierte zur Vorstellung des Ende vergangenen Jahres erschienenen Buches »Zu lieben sind wir da«. Der Buchautor, David N. Field, sowie Rosemarie Wenner, die im Ruhestand lebende zuvor für Deutschland zuständige Bischöfin der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK), und der Leiter des EmK-Bildungswerks, Wilfried Röcker, gestalteten zusammen einen Studientag, der das Thema des Buches aufgriff. Für den Autor war der Anlass zum Buch, die in der Evangelisch-methodistischen Kirche immer noch andauernde Auseinandersetzung zu Fragen um Homosexualität und den Umgang mit homosexuell lebenden Menschen. Hauptthema des Buches sei aber die Frage, wie in konfliktreichen Situationen trotzdem Einheit und Miteinander bewahrt werden könne. Solche Konflikte könnten schon bei der Verlegung oder Festsetzung der Zeit für den Beginn des Gottesdienstes aufkeimen und zu unüberbrückbaren Gegensätzen führen, betonte Bischöfin Wenner zum Auftakt des Treffens in Stuttgart. Damit stellte sie gleich eine Verbindung in den Gemeindealltag her, in dem es viele konfliktträchtige Themen gebe.

Einheit ist unaufgebbarer Anspruch an die Kirche

»Die Kirche ist nicht mehr im Dorf«, erklärte der in Basel lebende Autor David N. Field zum Auftakt seines Vortrags. Für viele sei sie nur noch so etwas wie ein Kulturerbe, und schöne Kirchen seien vielleicht eine Touristenattraktion. Aber sonst habe sie für viele Menschen keine Bedeutung im Alltag mehr. Deshalb stehe die Kirche heute vor der Herausforderung, »wie wir das Evangelium auf eine Art und Weise verkündigen und leben können, die für die heutigen Menschen von Bedeutung ist«. Dafür sei »eine neue Vision für das Leben und die Mission der Kirche« nötig, und darum gehe es in diesem Buch. Der Anlass liege zwar in der seit Jahrzehnten schwelenden innerkirchlichen Auseinandersetzung um die Fragen der Homosexualität, aber die Lösung dieser Frage liege auf einer anderen Ebene. Deshalb habe die mit dieser Frage befasste internationale EmK-Kommission »Ein Weg in die Zukunft« den Auftrag bekommen »nicht ein Problem zu lösen, sondern die Kirche zu erneuern«. Nur wenn die Kirche wirklich eine »erkennbar andere Gemeinschaft« sei, könne sie nach innen und außen ein Beispiel dafür abgeben, wie Menschen ihr persönliches Leben gestalten könnten und auch bei unterschiedlichen Überzeugungen in Gemeinschaft leben könnten. Die Einheit der Kirche auch in strittigen Fragen zu wahren, sei daher ein unaufgebbarer Anspruch an die Kirche. In ihr werde zwar viel über Liebe geredet, aber oft mangele es gerade daran. Der in Südafrika aufgewachsene Theologe lud seine Zuhörerschaft dazu ein, »Vielfalt, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte innerhalb unserer Gemeinschaft aus dem Blickwinkel der verwandelnden Liebe Gottes anzugehen«. Wer diesen Blickwinkel einnehme, werde beim »Streben nach Einheit Meinungsverschiedenheiten nicht ignorieren, sondern als Chance behandeln«.

Probleme nicht allein lösen, sondern gemeinsam

Der Leiter des EmK-Bildungswerks, Wilfried Röcker, formulierte mit seinem Vortrag unter dem Titel »Miteinander Kirche sein« ein herausforderndes Plädoyer für eine Gemeinschaft, die auch bei großen Unterschieden Wege zum Miteinander findet. In einem vier Dimensionen beschreibenden Vortrag legte er dar, wie Gemeinden und Kirche lernen könnten, miteinander zu wachsen und darin die Einheit zu bewahren. Dabei sei wichtig, miteinander zu lernen, statt sich gegenseitig zu belehren. Außerdem gehe es darum, sogenannte »Wir-Erfahrungen« zu ermöglichen, die über einzelne Gemeinsamkeiten bestimmter Gruppen hinausgingen. Wenn Gemeinde gelingen wolle, dürften nicht verschiedene Personen oder Gruppen aus den verbindenden »Wir-Erfahrungen« ausgegrenzt werden. Mit der dritten Dimension kam Röcker auf menschliche Verhaltensweisen zu sprechen, die nüchtern und kritisch zu bedenken seien. Dazu gehörten beispielsweise Vorurteile und Voreingenommenheit, die prägend seien und einer aufrichtigen Gemeinschaft im Wege stünden. Die vierte und letzte Dimension beschrieb Röcker als Einladung »neue Denkhorizonte zu eröffnen«. Dabei gehe es, so Röcker, um die Frage, »was unser Leben wachsen und gedeihen lässt«. Hierfür müssten auch bisherige Bilder und Festlegungen in Frage gestellt werden dürfen. Das sei zwar schwierig, aber »unser Gehirn liebt es, Probleme zu lösen, und zwar am liebsten nicht allein, sondern zusammen mit anderen«.

»Der Vorschlag für die Mitte erscheint jetzt als liberal«

In der abschließenden Podiumsdiskussion stellten sich Bischöfin Rosemarie Wenner und der Autor David Field den Fragen von Wilfried Röcker. Es ging dabei um die Erfahrungen, die die beiden als Mitglieder der Kommission »Ein Weg in die Zukunft« gemacht hatten. Warum es neben dem sogenannten »Traditionalist Plan«, also dem Vorschlag, die bestehende Ordnung zu bewahren und streng einzufordern, nicht einen entgegengesetzten Vorschlag gebe, der in der Kirche einen ganz offenen und freizügigen Umgang mit der Ordnung ermögliche, war eine der Fragen. Interessanterweise betonten die beiden Kommissionsmitglieder, dass von homosexuellen Kommissionsmitgliedern und Mitgliedern, die für die stärkere Integration von Homosexuellen in der Kirche plädieren, diese weitgehende Öffnung der Ordnung gar nicht gefordert wurde. Ihnen sei es vielmehr darum gegangen, eine Lösung in Lehre und Praxis der Kirche zu finden, die den Homosexuellen einen respektierten Platz in der Kirche ermögliche. Deshalb gebe es zum Vorschlag, die Ordnung zu bewahren und strikt zu befolgen, keinen geradezu entgegengesetzten Vorschlag. Vielmehr sei der sogenannte »One Church Plan«, also der Vorschlag, die Einheit der Kirche zu bewahren, genau die Lösung, die Homosexuellen einen Platz in der Gemeinschaft der Kirche ermöglichten. Diese Tatsache führe jetzt aber zu einem Betrachtungsproblem, erklärte Bischöfin Wenner dem interessiert zuhörenden Publikum. »Der Vorschlag für die Mitte, der ›One Church Plan‹, erscheint jetzt als liberal«, fügte sie an, obwohl er von der Kommission als Ausdruck der Bewegung beider Seiten aufeinander zu angesehen werde und der Kirche eine Einheit ermögliche, auch wenn die Überzeugungen sehr unterschiedlich seien. Wie das funktionieren könne, habe auch der Umgang der 32 Kommissionsmitglieder miteinander gezeigt. »Im Laufe der Zeit sind sogar Freundschaften zwischen Personen entstanden, die gegensätzlicher Meinung waren«, beschrieb Field die Auswirkungen des gemeinsamen Ringens um Einheit trotz verschiedener Überzeugungen. Basis dafür sei eine Selbstverpflichtung der Kommissionsmitglieder gewesen, die in ihren Grundzügen als »Leitfaden für Gespräche« den am Seminartag in Stuttgart anwesenden Personen ausgehändigt wurde. Die dort formulierten Vereinbarungen könnten bei Auseinandersetzungen zu strittigen Fragen Anleitung geben, wie trotz unterschiedlicher Meinungen ein Umgang in gegenseitigem Respekt und mit dem aufrichtigen Wunsch, die Einheit zu bewahren, möglich sei.

Beiden Kommissionsmitgliedern war abzuspüren, wie ermutigend die Erfahrungen in der Kommissionsarbeit für sie waren. Mit vorsichtigem Optimismus blickten sie deshalb auch auf die im kommenden Monat stattfindende außerordentliche Generalkonferenz. Die Einheit der Kirche könne bewahrt werden, wenn sich die Delegierten dort dafür gewinnen ließen, ein »Herz des Friedens« zu haben und eine Überzeugung zu leben, wie sie der Field’sche Buchtitel formuliert: »Zu lieben sind wir da«.

Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit


Der Autor
Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland in Frankfurt am Main. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Weiterführende Links
Gesprächsleitfaden (Link zum PDF)

Zur Information
Bibliographie: David N. Field »Zu lieben sind wir da. Der methodistische Weg, Kirche zu sein« (Paperback, 248 Seiten, ISBN 9783374058570, 15 Euro)