Den Glauben ins Gespräch bringen Von Michael Putzke  | 

Das »Ja-und-Prinzip« lernen

Trey Hall, beim Forum Evangelisation in Braunfels
»Die Kraft Gottes, tief und unbekannt, übersteigt unser Verstehen und rettet uns«, sagt der Evangelisationssekretär der Methodistischen Kirche in Großbritannien, Trey Hall, beim Forum Evangelisation in Braunfels.
Bildnachweis: Michael Putzke
Was Improvisationstheater mit Evangelisation zu tun haben könnte, war eine überraschende Entdeckung beim Forum für Evangelisation in Braunfels.
5 Minuten

Beim Forum Evangelisation, kurz »Forum E«, unter dem Thema »Pioniergeist« ging es vom 16. bis 19. März in Braunfels um neue Formen von Evangelisation. Wie Mission heute möglich ist, bewegte die Teilnehmer und den Hauptreferenten Trey Hall.

In seiner Studienzeit hatte Hall den Wunsch, geistlich zu wachsen. »Was kann ich tun?«, fragte er eine 75-jährige Nonne, die ihn geistlich begleitete. Ihre Antwort: »Mach einen Kurs in Improvisationstheater.« Die Überraschung ist Hall, inzwischen Evangelisationssekretär der Methodistischen Kirche in Großbritannien, immer noch ins Gesicht geschrieben.

Ohne Netz und doppelten Boden

Beim Improvisationstheater gibt es keine feste Geschichte. Alles beginnt mit einem Stichwort, das vom Publikum oder vom Spielleiter reingerufen wird, zum Beispiel »Wohnzimmer!« Ein Schauspieler nimmt die Idee auf: Er setzt sich entspannt auf ein Sofa, das er in seiner Fantasie vor sich sieht. Ein anderer Spieler entwickelt die Szene weiter: »Wir sitzen auf dem Sofa und schauen im Fernsehen die Show »Let‘s dance«. Dann nimmt der erste Spieler diese Idee auf und spinnt die Geschichte weiter. Die zentrale Regel heißt »Ja – und«. Mit dem »Ja« nimmt der Spieler oder die Spielerin den Begriff auf und erzählt die Geschichte mit dem »und« weiter. Nichts ist abgesprochen. Alles entsteht aus dem Moment.

Hall überträgt dieses Prinzip auf die Mission. Jesus sendet seine Jünger zu zweit in die Dörfer. »Verkündet den Leuten: ›Das Reich Gottes kommt euch jetzt nahe!‹« (Lukas 10,9) Die Jünger werden angewiesen, keinen Geldbeutel und keine Vorratstasche mitzunehmen (Vers 4). Evangelisation ist wie ein Improvisationstheater, bei dem Jesus das Stichwort »Reich Gottes« gibt. Glaubende nehmen dieses Stichwort auf, kommen mit Menschen ins Gespräch. Sie haben keine Ausrüstung dabei, keine fertigen Konzepte in der Tasche. Evangelisation beginnt nicht mit einem vorbereiteten Vortrag über das Reich Gottes. Es beginnt mit dem, was es in uns an Gefühlen und Gedanken wachruft –spontan und persönlich. Wenn Menschen darauf reagieren, ist es an den Glaubenden, das wiederum positiv aufzunehmen. Dabei offen und ehrlich zu sein, ist alles. Aus der Begegnung mit anderen Menschen heraus entsteht etwas Neues.

Dieses »Ja–undPrinzip« könne in der Gemeindearbeit helfen, zum Beispiel im Vorstand, sagt Barry Sloan. Er selbst nimmt beim Projekt »Inspire Chemnitz« regelmäßig an einem Improvisationstheater teil. Wie oft sei in Sitzungen die erste Reaktion auf einen Vorschlag negativ: »Nein, das geht nicht. Das haben wir immer so gemacht.« Damit bremst man Innovation aus. »Wenn wir das ›Ja-und-Prinzip‹ lernen, nehme ich ein Angebot an, und ich gebe etwas von mir dazu«, erklärt Sloan. »Dann sehen wir, was daraus entsteht.«

Wie können Glaubende heute vom Reich Gottes reden? Hall, der in den USA und in Großbritannien Gemeinden neu gegründet hat, erklärt, dass man diesen Begriff vom Reich Gottes übersetzen müsse. Als Beispiel nennt er Plakate, die er in einer Gemeinde in Chicago entwickelt hat. Auf denen war zu lesen: »Wir lieben Demokraten. Wir lieben Republikaner«. In einer Zeit, in der die politischen Parteien in den USA kaum noch fähig zum Kompromiss sind, wollte die Gemeinde zeigen, dass der Friede Gottes einfach größer ist.

Von Schönheit und dem Schmerz reden

Trey Hall, der trockener Alkoholiker ist, beschreibt, wie die Treffen bei den Anonymen Alkoholikern (AA) ihm geholfen haben, seinen christlichen Glauben und seine Mission neu zu verstehen. Zu jedem AA-Treffen gehört es dazu, dass Menschen ihre eigene Geschichte erzählen: von der Schönheit des Lebens, ihrem Schmerz, dem Ringen und ihrem Scheitern. In Gemeinden können Zeugnisse große Kraft entfalten, »denn Glaube ist nicht privat, sondern ein gemeinsamer Weg der Veränderung«, ist Hall überzeugt. Mit Zeugnissen geben Menschen einander Anteil: »So fühlt es sich in meiner Haut an, wenn ich das Evangelium höre.« Ein Teilnehmer des Forum E fragte zurück: Viele Glaubende hätten zwar die Sehnsucht, mit Gott etwas zu erleben, aber viele sagten: »Ich erlebe nichts mit Gott«. Wovon solle man dann sprechen? Halls Reaktion: Es könne auch ein Zeugnis sein, vom Schmerz zu sprechen, dass man Gott nicht spürt. Auch hier gehe es um Ehrlichkeit. Solche Zeugnisse veränderten die Atmosphäre in den Gemeinden.

Evangelisation hat heute wieder eine Chance

Mit dem Gleichnis vom Schatz im Acker (Matthäus 13) wies Hall darauf hin, dass viele Menschen auf der Suche sind nach Glück, Sinn und Anerkennung. Sie sind Schatzsucher. Gleichzeitig gehören immer weniger Menschen zu einer Kirche. Die Zahlen nehmen in allen westlichen Ländern ab. Aber es gibt ein Bedürfnis nach Spiritualität. Hier liegt die Chance der Kirche. Dafür muss sie aber die geistliche Kraft ihres Glaubens wiederentdecken.

Der kanadische Philosoph Charles Taylor beschreibt in seinem Buch »Ein säkulares Zeitalter«, dass Menschen in der modernen Welt nicht mehr damit rechnen, erwarten und hoffen, dass Gott handelt. Taylor spricht hier von einer »Malaise« – es sei eine Misere, dass die Menschen das Gefühl dafür verloren haben, dass etwas unsere Grenzen übersteigt. Damit wird das Leben »flach«, sagt Trey Hall. Auch auf die Kirchen färbe dies ab. Er beklagt eine »theologische Flachheit«, die nur noch ethische und moralische Aussagen wage. Christen müssten heute das Reich Gottes als eine Realität zurückgewinnen. Denn die Kraft Gottes, tief und unbekannt, übersteige unser Verstehen und rette uns, so Hall.

Die Aufgabe der Christen sei es, »die geheimnisvolle Weisheit Gottes« zu verkünden, »die bis jetzt verborgen war«, wie Paulus sagt (1. Korinther 2). »Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, worauf kein Mensch jemals gekommen ist – all das hält Gott für die bereit, die ihn lieben.« Damit hat Evangelisation heute wieder eine Chance. Christen sollen neu nach dem Reich Gottes auf die Suche gehen und andere Menschen dazu einladen, mit ihnen danach zu suchen.

Warum überhaupt glauben?

Danach befragt, was für ihn attraktiv ist am Glauben, antwortet der Referent: »Eine Beziehung mit dem lebendigen Gott. Die Tatsache, dass mein kleines Ich irgendwie mit einer anderen Realität verbunden ist. Gott hält die ganze Welt zusammen und kennt auch mich. Also, ich liebe es, mit diesem Gott in Beziehung zu stehen mit seiner Majestät und Größe.« Das sei für ihn »zutiefst anziehend«.

Im Christentum geht es um Befreiung, ergänzt Hall. Als Alkoholiker habe er seinen Glauben bei den Anonymen Alkoholikern wiederentdeckt. Es war eine Befreiung. Gleiches gilt auch für seine sexuelle Orientierung. Als schwuler Mann sei er aus seinem Versteck herausgetreten. Als er Christ geworden sei, habe er »die Kraft und den Mut gehabt, die Person zu sein, zu der Gott mich gemacht hat«, sagt Hall im Interview. Er habe es als Evangelium empfunden, als er den Vers las: »Die Wahrheit wird euch frei machen« (Johannes 8,32). Trey Hall schiebt nach: »Das ist ein schöner Satz, er hat mein Leben verändert.«

 

Dieser Artikel ist dem zweiwöchentlich erscheinenden EmK-Magazin »unterwegs« der Evangelisch-methodistischen Kirche – Nummer 9/2023 vom 23. April 2023 – entnommen.

Der Autor

Michael Putzke ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche und leitet die Redaktion des zweiwöchentlich erscheinenden Kirchenmagazins »Unterwegs«. Kontakt: redaktion(at)emk.de