Zwischen zwei Kulturen leben Von Michael Putzke  | 

Loyalitätskonflikte und Potenzial

In einem lichtdurchfluteten Raum mit vielen Fenstern stehen Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts und mit unterschiedlicher Hautfarbe in einem doppelten Oval um einen Abendmahlstisch herum. Das Brot ist verzehrt. Die Einzelkelche sind geleert.
Rund sechzig Verantwortliche aus internationalen und Migrantengemeinden trafen sich im Haus Höhenblick in Braunfels. Sie tauschten sich über die besonderen Herausforderungen ihrer Gemeindearbeit aus und feierten miteinander Gottesdienste – hier beim gemeinsamen Abendmahl.
Bildnachweis: Ullas Tankler, GBGM
Junge Migranten ringen mit ihren Wurzeln. Das war Thema bei einer Schulung für Verantwortliche in internationalen und Migrantengemeinden in Braunfels.
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»Mit diesem T-Shirt und dieser Jeans kommst du nicht mit in den Gottesdienst.« Eine Jugendliche aus einer ghanaischen Gemeinde in Deutschland wird von ihrer Mutter energisch aufgefordert, sie solle mit in den Gottesdienst kommen. Dazu solle sie sich gefälligst angemessen anziehen, wie das in Ghana üblich sei. Bauchfrei und mit Löchern in den Jeans passe nicht! »Was sollen die Leute denken? So geht man nicht in die Gemeinde.« Die Jugendliche verschränkt die Arme und weigert sich. Warum reicht nicht die Kleidung, die sie auch in der Schule anzieht? Überhaupt: Die Gottesdienste und Predigten in der Stammessprache Ghanas versteht sie ohnehin nur mit Mühe. Das sei eher etwas für die Eltern. Sie spricht besser Deutsch.

Dann kommt die Pastorin der deutschen Gemeinde dazu und lädt die Jugendliche ein: »Komm doch zu uns in den Gottesdienst!« Aber der übliche EmK-Gottesdienst in Deutschland ist für die Jugendliche auch keine Alternative. Sie versteht Deutsch zwar ohne Probleme, aber es wird nicht getanzt, und die Lieder sind viel zu traditionell. Das ist nichts für sie.

Leben zwischen zwei Kulturen

Auf der Tagung, die Mitte Januar im hessischen Braunfels stattfand, sprachen die etwa sechzig Frauen und Männer, die Gemeinden leiten und sich in ihnen engagieren, über die Situation junger Migranten, die in Deutschland aufgewachsen sind. Deren Eltern sind vor Jahren eingewandert. Während die Kinder im Kindergarten und in der Schule selbstverständlich Deutsch lernen, müssen sich die Eltern die Sprache mühsam aneignen. Die Kinder wachsen zwischen zwei Kulturen auf: Einerseits ist die Kultur des Heimatlands der Eltern präsent, andererseits prägt die deutsche Gesellschaft die Jugendlichen.

»Für uns ist es wichtig, dass wir diese Frage jetzt aufgreifen«, erklärte Pastor Frank Aichele, der in Deutschland die Arbeit der internationalen und Migrantengemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) koordiniert. »Wir wollen voneinander lernen, wie wir damit umgehen können.«

Die Jugendlichen in den Migrantengemeinden wachsen zwischen zwei Traditionen auf und geraten in Loyalitätskonflikte. Diese zu lösen, sei keine einfache Aufgabe. Gleichzeitig liege darin großes Potenzial, erklärte Pastor Kirk Sims. Es komme aber darauf an, dass die Jugendlichen beide Traditionen in ihrer Persönlichkeit integrierten. Sims wies in einem Vortrag darauf hin, dass der Apostel Paulus ebenfalls zwischen zwei Kulturen aufwuchs. Er war als Jude in Tarsus aufgewachsen, in der heutigen Südtürkei nahe der Grenze zu Syrien. Neben der jüdischen Tradition war er auch mit der griechischen Kultur vertraut. Weil Paulus sich in diesen verschiedenen Welten bewegen konnte, fand er Worte für den neuen christlichen Glauben. So konnten Menschen aus anderen Kulturen Jesus als ihren Erlöser begreifen.

Problem der Finanzierung

Darüber hinaus diskutierten die Teilnehmer der Tagung, wie die internationalen und Migrantengemeinden in Deutschland ins Finanzierungssystem der EmK passen. Bei den Finanzen stehen sie vor der Herausforderung, die geforderte Beteiligung zur Finanzierung der Kirche in Deutschland aufzubringen, sagte Aichele. Viele Migranten arbeiteten jedoch in gering bezahlten Berufen und fühlten sich darüber hinaus verpflichtet, »viel Geld in die Heimat zu schicken«. Deswegen sei das Finanzaufkommen der Gemeinden eher gering.

Pastor Edgar Lüken, der die englischsprachige Gemeinde »Hamburg International« leitet, erklärte: »Wir passen nicht ins System.« Die internationalen Gemeinden zögen viele Menschen an, die nur für begrenzte Zeit in Deutschland seien. Wenn das Studium oder das Forschungsprojekt abgeschlossen sei, kehrten viele in ihre Heimatländer zurück. Daher gebe es in internationalen Gemeinden meist weniger Personen, die sich langfristig engagierten und finanziell stärker einbringen könnten.

Darüber hinaus sei das vom deutschen Staat organisierte System der Kirchensteuer in der Regel ein großes Hindernis und für Migranten verwirrend. Werden sie beim Einwohnermeldeamt gefragt, ob sie einer Kirche angehörten, bejahten sie die Frage selbstverständlich, wenn sie sich zu einer Gemeinde halten. Es sei ja ein wichtiger Teil ihres Lebens und oft auch ein Zeichen der Integration in die hiesige Gesellschaft. Wenn sie aber bestätigten, dass sie evangelisch seien, dann gehe die erhobene Kirchensteuer an die Landeskirche vor Ort. Den Migranten sei überhaupt nicht bewusst, dass das Geld nicht der EmK-Gemeinde zugutekomme.

Gesellschaft wandelt sich

Die Arbeit in den internationalen und Migrantengemeinden sei wichtig für die EmK, weil diese Gemeinden wüchsen und in ihnen etwas Neues entstehe, erklärte Aichele. »Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft.« Auch die anderen Gemeinden der EmK sollten sich dieser Wirklichkeit stellen und könnten als Teil einer internationalen Kirche etwas einbringen. Generell wünscht sich Aichele mehr Austausch zwischen den internationalen und den eher traditionell orientierten Gemeinden der EmK hierzulande. Letztere könnten auch einiges von den internationalen Gemeinden lernen, erklärte er. Beispielsweise »wie man anders Gottesdienst feiern kann und wie man auf Leute zugehen kann, die man so bisher nicht im Blick hatte.«

In der Arbeit der internationalen und Migrantengemeinden liege ein großes Potenzial. Denn viele Migranten, die nach Deutschland kämen, suchten nach Anschluss. Sie kämen aus Gesellschaften und Kulturen, in denen Religion und Glaube noch eine weit größere Rolle spiele als in Europa. Viele seien »stärker dem christlichen Glauben zugeneigt« und »weniger säkular geprägt« als die Menschen hier. Glaube sei für diese Menschen ein Stück Heimat und Lebensqualität.

Dank an Dietmar Honold

Während der Tagung in Braunfels dankte Bischof Harald Rückert Dietmar Honold, der das »Netzwerk Asyl« in der EmK seit 2017 leitete. Jetzt wurde er aus dieser Funktion verabschiedet, bleibt aber der Arbeit verbunden. Beheimatet in der EmK-Gemeinde in Göppingen, half er Migranten ehrenamtlich, hier in Deutschland heimisch zu werden. Rückblickend sagte er im Interview: »Ich bin Gott dankbar, dass er für jeden Migranten einen Weg mit uns gefunden hat.« Die Asylverfahren zögen sich oft über Jahre hin und setzten die Menschen enorm unter Druck. Er freue sich, wenn jemand die Sprache gelernt und ein Studium abgeschlossen habe. »Manchmal öffnet Gott Wege, wo ich lange vorher keine gesehen habe.«

Dieser Artikel ist der »unterwegs«-Ausgabe 6/2025 vom 23. März 2025 entnommen.

 

Weiterführende Links

EmK-Arbeitsgruppe Flucht und Integration: www.emk-flucht.de

Der Autor

Michael Putzke lebt in Bremen. Er ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche und leitet die Redaktion des zweiwöchentlich erscheinenden Kirchenmagazins »unterwegs«. Kontakt: redaktion(at)emk.de

Zur Information

Migrantengemeinden
Im deutschen Teil der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) gibt es Gemeinden, zu denen sehr viele oder nur Einwanderer gehören. Sie werden Migrantengemeinden genannt und sind in die deutschen Strukturen der EmK eingebunden.

Ghanaische EmK-Gemeinden in Deutschland
»Ghanaische Gemeinden« sind besondere Migrantengemeinden. Zu ihnen gehören hauptsächlich oder nur Einwanderer aus dem westafrikanischen Land Ghana. Diese Immigranten oder deren Eltern stammen meist aus der Methodistischen Kirche Ghana (The Methodist Church Ghana, MCG). In Ghana gibt es die EmK nicht. Der Methodismus kam 1835 von Großbritannien in das Gebiet des heutigen Ghana. Die Arbeit dort wurde zunächst als Distrikt der Methodistischen Kirche in Großbritannien geführt. Daraus entstand 1961 die MCG. Im Jahr 2000 führte die MCG das Bischofsamt ein. Es gibt einen Vorsitzenden Bischof und Diözesanbischöfe (vergleichbar mit den Superintendenten in der EmK). In Ghana mit rund 32 Millionen Einwohnern hat die Methodistische Kirche Ghana weit mehr als eine halbe Million Kirchenglieder.

In Deutschland arbeitet die EmK hinsichtlich der ghanaischen Gemeinden eng mit der Methodistischen Kirche Ghana zusammen, sodass diese Gemeinden inzwischen in die deutschen Strukturen der EmK eingegliedert sind.

The Methodist Church Ghana: methodistchurch.org.gh (Englisch)

Internationale EmK-Gemeinden in Deutschland
Zu diesen Gemeinden der EmK gehören Menschen aus oft vielen unterschiedlichen Ländern und Kulturen. Dabei kann es sich um Einwanderer handeln oder um Menschen, die nur vorübergehend in Deutschland sind. Die gemeinsame Sprache ist üblicherweise Englisch.