Eine mutige Frau schreibt Geschichte
An diesem Wochenende, Samstag und Sonntag, 5. und 6. Oktober, feiert die Theologische Hochschule Reutlingen (THR) der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) die Wiedereröffnung ihres Lehrgebäudes. Bereits Anfang September wurde das neue Studentenwohnheim »Haus Rosa Parks« mit 29 Plätzen in dreizehn Wohnungen bezogen. Mit der Namensgebung erinnert die Hochschule an eine in den Vereinigten Staaten von Amerika sehr bekannte Methodistin. Außerdem ehrt die Hochschule damit erstmalig eine Frau mit einem Gebäudenamen auf dem Campus.
Aufstand durch Sitzenbleiben
Der Name Rosa Parks führt den Blick zurück in die Geschichte der 1950er-Jahre in die Südstaaten der USA. Es ist der 1. Dezember 1955, der das Leben dieser Frau und vieler anderer Menschen weit über die Vereinigten Staaten hinaus veränderte. An jenem Tag weigerte sich die 42-jährige Afroamerikanerin, einem weißen Fahrgast ihren Platz in einem Bus in Montgomery im US-Bundesstaat Alabama zu überlassen. Mit ihrem für damalige Verhältnisse ungehörigen Verhalten löste sie eine Welle von Protesten aus, die sich über das gesamte Land ausbreitete. Diese mutige Tat veränderte nach und nach die Situation der schwarzen Bevölkerung in den USA und gab dem Lauf der Geschichte eine neue Richtung.
Anlass für Parks Aufbegehren war die damalige Vorschrift, dass schwarze Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln nur die hinteren Plätze einnehmen durften. Auch diese waren weißen Fahrgästen zu überlassen, wenn die vorderen Plätze schon alle belegt waren. Dann mussten jeweils ganze Reihen freigegeben werden, auch wenn nur ein Platz benötigt wurde. Diese Situation trat an jenem ersten Dezembertag 1955 ein. Parks verweigerte also nicht einem Weißen den Platz, sondern weigerte sich, die Reihe freizumachen. Die herbeigerufene Polizei nahm die aufbegehrende Passagierin fest, die allerdings noch am gleichen Abend gegen Zahlung einer Kaution freikam. Wenige Tage später wurde sie wegen Störung der öffentlichen Ruhe zu einer Strafe von zehn Dollar und Verwaltungskosten von vier Dollar verurteilt. Da hatte ihr Tun, nämlich einfach nichts zu tun, bereits große Wellen geschlagen. Für den Tag der Gerichtsverhandlung hatte eine von Frauen gegründete und in Montgomery schon jahrelang aktive Bürgerrechtsbewegung zu einem Busboykott aufgerufen. Die gesamte schwarze Einwohnerschaft von Montgomery, ein Drittel der Stadtbevölkerung, folgte dem Aufruf.
Martin Luther King erkannte die Chance
Es schien der berühmte Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mit diesem Ereignis entstand eine Bewegung, die sich zunächst in einem Nutzungsboykott der städtischen Buslinien in Montgomery niederschlug. Über ein Jahr lang, genau 381 Tage, boykottierten die Schwarzen alle Buslinien. Der in Deutschland als prägende Persönlichkeit der Bürgerrechtsbewegung weitaus bekanntere Martin Luther King Jr. wurde als damals noch unbekannter baptistischer Pastor zum Organisator und Impulsgeber der Bewegung. Er hatte die Tragweite dieses Anlasses und die Chance erkannt, dass aktiver, aber gewaltloser Widerstand weitreichende Veränderungen bewirken könnte.
Dazu unterrichtete er Personen, die an solchen Protesten und Aktionen teilnehmen wollten, wie solcher Widerstand mit aktiven und gewaltlosen Mitteln ausgeführt werden kann. Das Beispiel machte Schule und breitete sich in Windeseile im gesamten Süden der Vereinigten Staaten aus. Bald darauf waren auch weite Teile im Norden des Landes mit solchen Aktionen erreicht. Abertausende mutiger Menschen schlossen sich den Protesten damals an, um gleiche Rechte für alle zu fordern. In Montgomery und andernorts führte die Aktion dazu, dass die Behörden die Rassentrennung in Bussen und Zügen aufheben mussten. Eine müde, aber mutige schwarze Frau wurde mit ihrer Aktion zur Ikone der US-Bürgerrechtsbewegung und zu einer Persönlichkeit der Weltgeschichte.
Näherin, Sekretärin, Bürgerrechtlerin
Ihre Stärke kam nicht von ungefähr. Rosas Vater verließ die Familie, als sie zwei Jahre alt war. Die Mutter war Lehrerin und unterrichtete sie zuhause, bis sie elf war. Danach ermöglichte sie Rosas Schulbildung an afroamerikanischen Schulen und die Ausbildung zur Näherin und Schneiderin. Mit 19 Jahren heiratete sie den zehn Jahre älteren Raymond Parks, der in der Nationalen Organisation für die Förderung farbiger Menschen mitwirkte (National Association for the Advancement of Colored People, NAACP). Nach elf Jahren Ehe wurde Rosa Parks neben ihrer Arbeit als Näherin in dieser Organisation Sekretärin.
Sie verinnerlichte das Anliegen des Einsatzes für die Menschen, zu denen sie selbst gehörte. Es vergingen jedoch noch weitere zwölf Jahre bis zu jenem Ereignis Anfang Dezember 1955. Was sich damals ereignete, war also nicht eine von langer Hand geplante Aktion, sondern erwuchs aus einer langen Wegstrecke, aus der in dem einen Moment entsprang, was ihrer tiefen inneren Überzeugung entsprach.
Rosa Parks wurde vielfach geehrt. So erhielt sie 1996 aus den Händen des damaligen Präsidenten Bill Clinton die Freiheitsmedaille (Presidential Medal of Freedom). Sie starb 2005 im Alter von 92 Jahren. Parks war die erste Frau, der vor ihrer Beisetzung die Ehre der öffentlichen Aufbahrung im Kapitol zuteilwurde. Präsident George W. Bush ordnete Trauerbeflaggung an, und die US-amerikanische »Queen of Soul«, Aretha Franklin, sang bei ihrer Beerdigung.
Starkes Erinnerungszeichen der Hochschule
Die Verbindung für die Namensgebung des neuen Wohnheims auf dem Campus der evangelisch-methodistischen Hochschule ergibt sich in zweifacher Weise. Parks gehörte der African Methodist Episcopal Church an, einer bischöflich verfassten methodistischen Kirche für schwarze Menschen. Diese Kirche war schon 1816 in den Vereinigten Staaten entstanden, weil Afroamerikaner in methodistischen Gemeinden ausgegrenzt und diskriminiert wurden. In ihrer Gemeinde wurde sie 1964 Diakonin und hatte damit als Mitarbeiterin das höchste nicht-pastorale Amt inne.
Inhaltlich verbindet sich mit der Erinnerung an Rosa Parks die Bedeutung der Fachbereiche Theologie sowie Soziale Arbeit und Diakonie, die an der Hochschule gelehrt werden. Parks steht für die praktisch gelebte Dimension des Evangeliums, die sich in der Gesellschaft auswirkt. In einer persönlichen Notiz schrieb sie, dass sie das, was sie für Menschen tat, für Gott getan hat, und was immer für Gott zu tun ist, sich am Eintreten für Menschen zeigt.
Nicht immer werden praktisch gelebter Glaube und die Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Menschen so aufsehenerregende Folgen haben. Aber die Namensgebung »Haus Rosa Parks« erinnert daran, dass alles klein und unscheinbar beginnt.
Weiterführende Links
- Artikel »Rosa Parks«: de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Parks (Wikipedia)
- Stationen des Kunstprojekts zum Wohnhaus von Rosa Parks (u.a. in Berlin), in dem sie in Detroit von 1957-1959 lebte
Artikel vom 12.5.2017 in »Die Welt«
DW-Video zur Kunstaktion in Berlin 2017: Rosa Parks findet ein Zuhause in Berlin | DW Deutsch
Artikel vom 7.11.2021 im »Tagesspiegel«
Der Autor
Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.
Zur Information
Veranstaltungen am Festwochenende zur Wiedereröffnung des Lehrgebäudes der Theologischen Hochschule Reutlingen:
Samstag, 5. Oktober
- Ab 15 Uhr Tag der offenen Tür auf dem Gelände der Theologischen Hochschule Reutlingen
(Zugänge über die Friedrich-Ebert-Straße 31 und die Hagstraße 4, Reutlingen)- Auftakt mit Musikprogramm für Erwachsene, Familien und Kinder
- Kurzvorlesungen aus den Fachrichtungen der THR mit Kostproben aus der wissenschaftlichen Arbeit
- Informationen zu den Studiengängen
- Aktuelle Beiträge aus der Evangelisch-methodistischen Kirche
- Führungen durch das renovierte Hochschulgebäude
- Vorstellung der für die THR neu gestalteten Kunstwerke durch die Künstlerinnen
- 18.15 Uhr Konzert mit vielseitiger Musik
- Abendlicher Ausklang am Grill
Sonntag, 6. Oktober
- Ab 15 Uhr
- Kaffee und Kuchen
- Führungen durch das renovierte Hochschulgebäude
- Informationen zu den verschiedenen Studiengängen
- Kinderprogramm und weitere Attraktionen
- Einzug in das neue Gebäude
- 18 Uhr Festgottesdienst in der neugestalteten Aula
(Zugänge über Friedrich-Ebert-Straße 31 und Hagstraße 4, Reutlingen)
Link zur Internet-Übertragung findet sich auf www.th-reutlingen.de- Vorstellung neuer Studierender
- Einführung der neuen Alttestamentlerin Prof. Dr. Kathrin Liess
- Predigt Pastor Dr. Hans-Martin Niethammer, Direktor des Diakoniewerks Martha-Maria, Nürnberg
- Musik mit einem Projektchor aus Südafrika
- 19.30 Uhr Empfang
- Grußworte aus Kirche und Politik
- Imbiss
Montag, 7. Oktober
- 10 Uhr Eröffnungsvorlesung des neuen Studienjahrs in der neuen Aula der THR
(Zugänge über Friedrich-Ebert-Straße 31 und Hagstraße 4, Reutlingen)
Link zur Internet-Übertragung findet sich auf www.th-reutlingen.de
Religiöse Bildung im Horizont einer Weltgesellschaft
Vortrag von Prof. Dr. Henrik Simojoki, Humboldt-Universität Berlin
Theologische Hochschule Reutlingen
Die Theologische Hochschule Reutlingen (THR) ist eine Einrichtung der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) für den deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich und Schweiz). Sie ist eine staatlich anerkannte Hochschule und verleiht die staatlich und international anerkannten Studienabschlüsse Bachelor (Bachelor of Arts, B.A.) und Master (Master of Arts, M.A.) für Theologie sowie den staatlich anerkannten Master-Abschluss im Studiengang »Christliche Spiritualität« und einen staatlich anerkannten Bachelor-Abschluss im Studiengang »Soziale Arbeit und Diakonie«. Rektor der Hochschule ist Prof. Christof Voigt.
www.th-reutlingen.de