»Wir weigern uns, Feinde zu sein«
Vom 7. bis 13. Oktober fand die »Wasser und Frieden«-Konferenz des Weltrats Methodistischer Kirchen in Jordanien, Palästina und Israel statt. Im Rahmen dieser Konferenz wurde der Methodistische Friedenspreis an Familie Nassar überreicht. Aus Deutschland nahmen zwei hochrangige Vertreter der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) teil: Harald Rückert, Bischof der EmK für Deutschland, war als Vertreter des internationalen Bischofsrats der EmK Mitglied der Delegation. Rückerts Amtsvorgängerin Rosemarie Wenner war als »Genfer Sekretärin« Teilnehmerin dieser Reise. Mit diesem Amt hält sie in ihrem Ruhestand den Kontakt zwischen dem Weltrat Methodistischer Kirchen und dem in Genf ansässigen Ökumenischen Rat der Kirchen sowie anderen kirchlichen Weltbünden. Als Autorin des nachfolgenden Artikels berichtet sie von Eindrücken dieser Reise.
Grenzerfahrungen unterschiedlicher Art prägten die Reise einer Delegation des Weltrats Methodistischer Kirchen nach Jordanien, Palästina und Israel. Geleitet wurde die Reise von Leão Neto aus London, Pastor der Britischen Methodistischen Kirche und Vorsitzender des Komitees des Weltrats für Interreligiöse Beziehungen, unter Begleitung von Frank Dabba Smith, Rabbi am Leo Baeck College in London. Die Riese führte ins Jordantal, die Westbank und nach Jerusalem.
Viel Überzeugungsarbeit nötig
»Wasser und Frieden« war das Motto der Reise, bei der es in ganzheitlicher Weise um Theologie, Ökologie und Gerechtigkeitsthemen ging, eingebettet in Gespräche mit Menschen aus den drei sogenannten abrahamitischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. Begleitet wurden wir von den Mitarbeiterinnen des Methodistischen Verbindungsbüros in Jerusalem und von Personen, die in der Organisation »Eco Peace« mitarbeiten. Diese Organisation unterhält Büros in der jordanischen Hauptstadt Amman sowie in Ramallah, dem Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde und im israelischen Tel Aviv, Eco Peace ist die einzige Organisation, die mit den drei Regierungen in dieser konfliktträchtigen Region zusammenarbeitet. Sie bringt Menschen dieser Regionen zusammen und fördert ein Bewusstsein für die Bedeutung des Naturschutzes, wirkt auf eine faire Verteilung der Ressource Wasser hin und setzt sich dafür ein, politische Gräben zu überwinden. Dazu braucht es nicht nur einen erheblichen organisatorischen Aufwand, sondern viel Überzeugungsarbeit. Die Menschen haben gelernt, sich gegenseitig als Feinde zu betrachten. Doch Wasser kennt keine Grenzen. Um mit dieser Ressource verantwortlich umzugehen, müssen Barrieren zwischen den Menschen abgebaut werden. Junge und ältere Menschen aus Jordanien, Palästina und Israel arbeiten dabei Hand in Hand beim Aufbau von Zentren, in denen ökologisch verträglicher Tourismus angeboten wird.
Beharrlich und kreativ
Neben dieser Arbeit mit der Bevölkerung ist Eco Peace auch mit den politischen Entscheidungsträgern Israels, Palästinas und Jordaniens im Gespräch. Mit Unterstützung internationaler Partner werden Konzepte entwickelt und erprobt, um die Absenkung des Wasserspiegels im See Genezareth und im Toten Meer zu stoppen, die Verschmutzung der Gewässer zu minimieren und die kostbare Ressource Wasser gerechter zwischen Israel, Jordanien und den palästinensischen Siedlungen zu verteilen. Beharrlich und kreativ verfolgt Eco Peace diese Ziele. Grenzen werden durchlässiger. So ist es Eco Peace zum Beispiel gelungen, Palästinensern den Zugang zur Taufstelle Jesu am Jordan zu öffnen. Wir saßen eine Weile an diesem viel besuchten Ort und teilten uns gegenseitig mit, was das Symbol des Wassers für die christliche Taufe und für die rituellen Waschungen in der jüdischen und der muslimischen Tradition bedeutet. »Wir alle leben vom Wasser«, sagte der muslimische Mitarbeiter von Eco Peace aus Ramallah. Deshalb solle »das Wasser, mit dem wir uns reinigen, daran erinnern, dass wir das Schöne und Gute, das von Gott kommt, nicht zerstören sollen«.
Menschen bauen Brücken
Im Westjordanland hörten wir von massiven Eingriffen in die Wasserversorgung durch den Ausbau der jüdischen Siedlungen und vom Überlebenskampf der Bauern und Beduinen, die von Umsiedlungen bedroht sind. Aber auch von internationaler Solidarität und vom Durchhaltevermögen vieler Menschen, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, war die Rede. Dies war insbesondere in den Begegnungen mit Familie Nassar auf ihrer Farm in der Nähe von Bethlehem zu spüren. Obwohl es Dokumente gibt, die beweisen, dass das Land seit 1916 dieser christlichen palästinensischen Familie gehört, will Israel das Land übernehmen. Seit neunzehn Jahren dauert der Rechtsstreit an. Da keine Brunnen gebohrt werden dürfen, sammelt die Familie das Regenwasser in Zisternen, sodass die Arbeit weitergehen kann. Die Mitarbeiterinnen des Methodistischen Verbindungsbüros in Jerusalem kommen regelmäßig zu Abendmahlsfeiern auf die Farm. Freiwillige aus aller Welt helfen bei der Bewirtschaftung der Farm. Es entstand die »Zelt der Nationen« genannte Begegnungsstätte, in der beispielsweise Sommerlager für traumatisierte Kinder abgehalten werden. »Wir weigern uns, Feinde zu sein« steht auf einem Stein am Eingang der inzwischen von jüdischen Siedlungen umgebenen Farm. Hier werden innere Grenzen überwunden, obwohl die äußeren Barrieren immer höher werden. »Menschen bauen Brücken« lautet das Motto der Familie Nassar, die viele Kontakte nach Deutschland hat. Der Generalsekretär des Weltrats Methodistischer Kirchen, Bischof Ivan Abrahams, und die stellvertretende Ratsvorsitzende, Gillian Kingston, überreichten in einer bewegenden Feierstunde unter freiem Himmel den Friedenspreis des Methodistischen Weltrats an Familie Nassar.
Freiwillige willkommen!
Am letzten Tag der Reise entwickelten wir zusammen mit dem Direktor des Eco-Peace-Büros in Tel Aviv Ideen, wie die Zusammenarbeit zwischen Eco Peace, dem Methodistischen Verbindungsbüro in Jerusalem und dem Weltrat Methodistischer Kirchen weitergehen kann. Zum Beispiel sind Reisegruppen und Freiwillige, die einige Wochen mitarbeiten möchten, sowohl bei Eco Peace als auch auf der Farm von Familie Nassar als auch im Methodistischen Verbindungsbüro in Jerusalem willkommen. Darüber hinaus gilt es zu erkennen, das auch wir einen Beitrag leisten können, wenn wir in unserem Lebensumfeld ökologisch verantwortlich leben und Gottes gute Schöpfungsgaben pfleglich behandeln. Denn Wasser kennt keine Grenzen. Wir alle teilen uns die Ressourcen auf der ganzen Welt.
Die Autorin
Rosemarie Wenner war von 2005 bis 2017 Bischöfin der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland. Im Ruhestand ist sie weiterhin ökumenisch und international aktiv. Kontakt über oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de.
Weiterführende Links
»Zelt der Nationen« der Familie Nassar
Friedenspreis 2017 des Weltrats Methodistischer Kirchen
Eco Peace Middle East
Zur Information
Weltrat Methodistischer Kirchen
Der Weltrat Methodistischer Kirchen (World Methodist Council, WMC) ist ein Dachverband von über 70 Kirchen methodistischer und wesleyanischer Tradition sowie mit ihnen verbundener unierter und vereinigter Kirchen, in denen über 51 Millionen Menschen ihre geistliche Heimat haben. Die Evangelisch-methodistische Kirche ist mit über 12,5 Millionen Kirchengliedern die größte Mitgliedskirche des WMC. Im Rat arbeiten rund 400 Kirchenvertreter mit. Die Kirchen finanzieren den Weltrat gemeinsam. Ziel des Zusammenschlusses ist die Förderung der Einheit unter den beteiligten Kirchen und das gemeinsame Zeugnis für den christlichen Glauben in der Welt. Zudem fördert der WMC ökumenische und interreligiöse Aktivitäten. Seit 1956 hat der WMC seinen ständigen Sitz in Lake Junaluska, im US-Bundesstaat North Carolina.
Weitere Informationen: www.worldmethodistcouncil.org
Der Friedenspreis des Weltrats Methodistischer Kirchen
Der Friedenspreis des Weltrats Methodistischer Kirchen wurde 1977 erstmals verliehen. Er wird jährlich einer oder mehreren Personen oder Organisationen zugesprochen, die in ihrem Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung von Menschen auf der ganzen Welt Mut, Kreativität und Standhaftigkeit bewiesen haben. Nominierungen können von den Leitungen der WMC-Mitgliedskirchen eingereicht werden. Der Preis besteht aus einer vergoldeten Silbermedaille und ist mit einem symbolischen Betrag von 1.000 US-Dollar dotiert.
Zu den früheren Preisträgern gehören unter anderen der ehemalige südafrikanische Präsident Nelson Mandela, der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, der ehemalige Präsident von Mazedonien, Boris Trajkovski, die Mütter des Platzes der Mairevolution in Argentinien und der ehemalige Generalsekretär der KPdSU und Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Den Friedenspreis 2017 erhielt neben der Familie Nassar auch die Methodistische Kirche in Italien für ihre herausragende Flüchtlingsarbeit.
Weitere Informationen: worldmethodistcouncil.org/whatwedo/world-methodist-peace-award