»Weil Gott uns sieht, können wir andere sehen«
Am vergangenen Wochenende, 20. bis 22. Januar, trafen sich im hessischen Braunfels rund fünfzig Personen zu einer Tagung für internationale und Migrantengemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK). Angereist waren Personen aus den Ghanaischen Gemeinden in Hamburg, aus dem Ruhrgebiet und aus Stuttgart. Außerdem nahmen Personen aus der Vietnamesischen Gemeinde in Frankfurt sowie aus süddeutschen Gemeinden mit farsi-sprechenden Menschen aus dem Iran und Afghanistan teil. Darüber hinaus waren internationale Gemeinden vertreten, die in der Regel englischsprachig sind und Menschen aus aller Welt ansprechen und ihnen Heimat auf Zeit bieten. Mit »Inspire Chemnitz« war außerdem ein Projekt vertreten, das sich an Flüchtlinge aus der Ukraine wendet, die zurzeit in Deutschland leben.
Verbindungen knüpfen
Erstmalig seit dem Ausbruch der Covid-Pandemie konnte dieses Treffen zur Verbindung der deutschen EmK-Gemeinden mit internationalen Arbeitsbereichen wieder stattfinden. »Ziel war es, diese verschiedenen Gruppen zusammenzubringen«, hebt Frank Aichele hervor, der vor einiger Zeit die Aufgabe als Koordinator in diesem Bereich kirchlicher Arbeit übernahm. »Es war das Ziel, dass diese Gemeinden sich kennenlernen, sich verbinden und sehen: Wo sind Gemeinsamkeiten und wo haben wir ähnliche Situationen?«
Barbara Hüfner-Kemper, deren Eltern selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren, beschrieb deren Erfahrungen nach dem Verlust der Heimat. Es habe immer wieder Situationen gegeben, in denen sie sich verloren fühlten. Was zum Ankommen und Finden einer neuen Heimat geführt habe, sei die Integration in eine Gemeinde gewesen, »die zur Heimat wurde«. Mit diesem persönlichen Erfahrungshintergrund und langjährigen Auslandsaufenthalten moderierte sie die unter dem Thema der biblischen Jahreslosung stehende Tagung: »Du bist ein Gott, der mich sieht!« (1. Mose 16,13).
Wie Terminsuche als Ablehnung verstanden wird
In dieser biblischen Geschichte spiegele sich das Flüchtlingsschicksal wider, war die gemeinsame Erkenntnis der Tagung: Die aus der Sippe ihrer Herrin Sara Geflohene habe überall gespürt, dass sie nicht dahin passe. Sie hat keinen Platz, wird vertrieben und muss fliehen.
Nicht gleich »hierher zu passen« sei auch das Schicksal vieler in Deutschland angekommener Menschen. Die deutsche Sprache ist fremd und schwer zu erlernen. Die Kultur ist eine andere und sorge unbemerkt für Irritation, wie Hans Martin Hoyer berichtet. Der in Göppingen wirkende EmK-Pastor arbeitet in seiner Gemeinde mit einer Gruppe farsi-sprechender iranischer Christen zusammen. Dabei entdecke er immer wieder unscheinbare, aber weitreichende kulturelle Barrieren. Wenn ein Iraner beispielsweise um Hilfe »am nächsten Wochenende« bitte, erzählt Hoyer, sei schon die im Deutschen übliche Terminsuche für das Gegenüber irritierend. »In dem Fall, dass ich am Wochenende wirklich keine Zeit habe und dann auch ein weiterer Terminvorschlag nicht passt, zieht sich mein Gegenüber zurück, und zwar auf Dauer!«, beschreibt Hoyer das Ergebnis der Terminsuche. Mehrere nicht passende Termine würden in dieser Kultur so verstanden, »dass ich grundsätzlich nicht helfen kann und will«. Was im Deutschen »nur eine Terminsache« sei, »empfinden Iraner als grundsätzliche Ablehnung«, beschreibt Hoyer eine seiner inzwischen vielfältigen kulturellen Entdeckungen.
Traumabegleitung, Zuwendung und praktische Hilfe
Im Austausch während des Wochenendes tritt als gravierendes Problem die rechtliche Unsicherheit vieler Migranten zutage. Viele sind nur geduldet, und die Asylverfahren sind lang und unübersichtlich. Diese sich häufig über Jahre hinziehende Unsicherheit raube den Menschen viel Kraft und behindere die Integration. Die Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt bis hin zu erfahrener Folter grabe sich tief ins Leben dieser Menschen ein. Diese Demütigungen, der Tod von Freunden und Familienmitgliedern oder die Gefahr, in der sich Angehörige im Heimatland noch befinden, seien Traumata, die Menschen binden und in ihren Grundfesten erschüttern.
»Traumatisierte Menschen haben ihr Vertrauen ins Leben verloren«, erklärt Barbara Hüfner-Kemper. Als Therapeutin für Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) hilft sie Menschen mit dieser körperorientierten psychotherapeutischen Methode, ihre traumatischen Lebenserfahrungen zu bewältigen. Das brauche Zeit, weiß die Therapeutin aus ihrer langjährigen Praxis. Die Unsicherheit der langen Asylverfahren und die ständige Angst vor der Abschiebung verhindere Heilung und verstärke das Trauma sogar noch.
Kimia Mokari bestätigt Hüfner-Kempers Aussagen. Die Iranerin, die nach ihrer Flucht Heimat in Hoyers Göppinger Gemeinde fand, berichtet, wie sehr ihre in Deutschland lebenden Landsleute die Abschiebung fürchteten. »Wenn sie jetzt zurückgeschickt werden, werden sie festgenommen und inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt. Schickt man sie zurück, ist ihr Leben in Gefahr«, beschreibt Mokari deren Angst.
Deshalb, so betonen viele der auf der Tagung anwesenden Migranten aus eigener Erfahrung, sei die praktische Hilfe in Asylverfahren und im Umgang mit Behörden so wichtig. Wie Hagar die Erfahrung gemacht habe, dass sie von Gott in ihrer aussichtslosen Lebenssituation gesehen wurde, bräuchten Migranten Menschen in den Gemeinden, die ihre Situation wahrnehmen, konkrete Hilfe anbieten und sie begleiten.
Resolution zur Lage im Iran
»Die Menschen im Iran brauchen unserer Hilfe und Unterstützung«, erklärt der zur Tagung angereiste Iraner Ali Asgar Sadeghnezhad aus der EmK-Gemeinde im fränkischen Fürth. »Das ist das Dringendste für uns, weil dort täglich Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen«. Die Menschen dort bräuchten dringend Unterstützung und »das Gefühl, dass wir gehört und gesehen werden.«
Beim Farsi-Tag in Fürth im November vergangenen Jahres sei deshalb eine Resolution erarbeitet worden, die in Braunfels mit der Bitte um Unterstützung vorgetragen wurde. Die jetzt veröffentliche Resolution fordert die deutsche Außenpolitik dazu auf, eindeutig Stellung zu beziehen. Die Revolutionsgarden im Iran sollen als Terror-Organisation geächtet werden, und die Führungselite im Iran müsse mit Sanktionen belegt werden. »Das Wichtigste ist, unsere Stimme zu erheben«, unterstreicht Sadeghnezhad die Zielsetzung der Resolution und ergänzt: »Die Kirche kann uns dabei helfen, gehört zu werden.«
Im Gottesdienst zum Abschluss der Tagung erklärt Harald Rückert, der für Deutschland zuständige Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche, dass er zusammen mit anderen Verantwortlichen in der Ökumene Wege suchen wolle, Einfluss auf den Bundestag und die Bundesregierung zu nehmen. In seiner Predigt hob er hervor, dass die Tagung dazu diente, trotz der Verschiedenheit aller Anwesenden, einander wahrzunehmen. »Uns als Glaubende verbindet die Erfahrung, sich von Gott gesehen zu wissen«, sagte Rückert, und zog daraus die Schlussfolgerung: »Die Erfahrung, dass Gott uns sieht, macht uns fähig, andere zu sehen.«
Weiterführende Links
Resolution (PDF)
Die internationalen Gemeinden der EmK in Deutschland
Der Autor
Michael Putzke ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bremen und leitet die Redaktion des zweiwöchentlich erscheinenden Kirchenmagazins »Unterwegs«. Kontakt: redaktion(at)emk.de