Norddeutsche Jährliche Konferenz Von Klaus Ulrich Ruof, Michael Putzke  | 

Vom »Tun-müssen« zum »Dabei-sein-Wollen«

Bischof Harald Rückerts Kurzpredigt: »Was jetzt kommt, ist draußen vor der Kirchentür. Dort geht es weiter. Geht neue Wege – als einzelne, als Gemeinde und wir gemeinsam als Kirche! Es ist alles gesagt. Amen.«
Bischof Harald Rückerts Kurzpredigt: »Was jetzt kommt, ist draußen vor der Kirchentür. Dort geht es weiter. Geht neue Wege – als einzelne, als Gemeinde und wir gemeinsam als Kirche! Es ist alles gesagt. Amen.«
Bildnachweis: Klaus Ulrich Ruof, EmK-Öffentlichkeitsarbeit
Mit einer rekordverdächtig kurzen Predigt überraschte Bischof Rückert die Gottesdienstgemeinde zum Abschluss der Norddeutschen Jährlichen Konferenz.
7 Minuten

Die von Mittwochabend bis zum gestrigen Sonntag (18. bis 22. Mai) in Berlin tagende Norddeutsche Jährliche Konferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) fand mit einem Gottesdienst in der evangelischen Heilig-Kreuz-Kirche im Stadtteil Kreuzberg ihren Abschluss. Im Gottesdienst predigte Harald Rückert, der für Deutschland und somit auch für die Norddeutsche Jährliche Konferenz zuständige Bischof.

Es fehlt nur noch das Losgehen

Mit seiner Predigt rüttelte der Bischof die anwesende Gottesdienstgemeinde mächtig auf. Nach rekordverdächtig kurzen drei Minuten und zehn Sekunden hörte die Gemeinde das die Predigt beschließende »Amen«. Noch hatten die Gottesdienstbesucher gar nicht richtig realisiert, was sich da ereignete, da saß der Bischof tatsächlich schon an seinem Platz in der ersten Reihe.

Mit den Beratungen während der zurückliegenden Tage, so hatte der Bischof in seiner Kurzpredigt erklärt, hätten die Mitglieder der Konferenz erneut alles bedacht und beschrieben. Sie hätten erneut viel Richtiges gesagt und die vom Thema vorgegebene Ausweglosigkeit ausgelotet. Aber auch Gottes unendliche Möglichkeiten hätten sie tiefgründig entfaltet. Wenn Gott wirklich Neues schaffe – das Thema des Abschlussgottesdienstes – dann fehle jetzt nur noch eines, so der Bischof: »dass wir losgehen«. Es sei ja alles gesagt. »Was jetzt kommt, ist draußen vor der Kirchentür. Dort geht es weiter. Seid ein Segen für eure Umgebung! Geht neue Wege – als einzelne, als Gemeinde und wir gemeinsam als Kirche! Es ist alles gesagt. Amen.«

Die irritierende Stille zog sich hin, die Orgel setzte nicht ein, die Gottesdienstgemeinde wusste nicht so recht, was passierte und erwartete doch noch eine Art Auflösung der Spannung. Diese löste sich, als der Bischof erneut ans Kanzelpult ging und dann doch noch ausführlicher über »das Werden des Neuen« predigte, das Gott schaffen werde und das die Menschen so schwer während des Entstehens erkennen könnten. So sei es ja schon im Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 43, Vers 19a) gesagt: »Ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr‘s denn nicht?«

Gottes Angebot ist viel spannender und lockender

Das abrupte erste Ende der Predigt wich einer skizzenartigen Ausführung des Bischofs, indem er zum Perspektivwechsel einlud. So stehe zwar in der Bibel, dass es Gott ist, der Neues schafft, aber in der Kirche werde immer noch zu häufig gefragt, was »wir« tun könnten oder müssten. »Das ist der völlig falsche Ansatzpunkt!«, sagte Rückert. »Gott tut etwas, Gott schafft Neues, nicht wir!«

Deshalb, so Rückert weiter, gehe es tatsächlich auch für das Weiterbestehen der Norddeutschen Konferenz nicht darum »was wir schaffen oder was wir hinbekommen«. Vielmehr gehe es darum, »ob ihr dabei sein wollt, wenn Gott eine erneuerte EmK schafft, wenn Gott seine Kirche weltweit neu aufstellt«. Die Frage »Wollt ihr dabei sein?« sei doch viel spannender, viel lockender als die Pflege oder Diskussion von Untergangsszenarien.

Loslassen und Sterben-Lassen gehört auch dazu

Auf dem Hintergrund des »Dabei-sein-Wollens« stelle sich statt der Frage nach dem »Tun-müssen« vielmehr die Frage »Was dürfen wir lassen? oder »Was müssen wir lassen?« Neues könne nur wachsen, wenn Anderes sterben dürfe. »Sterben und wachsen – das ist ein biblisches Prinzip!«, so Rückert. Aber trotz der christlichen Auferstehungskompetenz werde dieses Prinzip zu häufig nicht gelebt, ja sogar mit dem Konservieren alter Erinnerungen geradezu blockiert.

Neues könne entstehen, wenn die Gemeinden den Blick »nach draußen« richteten. Das von Gott geschaffene Neue könne »vor der Kirchentür, draußen in der Begegnung mit Menschen« erkannt und gefunden werden. Deshalb sei Hinhören gefragt, um zu erkennen, »was die Leute auf dem Herzen tragen«. Es sei nötig, »die Sprache, das Denken der Menschen um uns herum nachzuvollziehen«. Wenn die Gemeinden lernten, so von sich selbst loszulassen und mutig neue Perspektiven einzunehmen, könne sich das ereignen, was Rückert dann so beschrieb: »Gott schafft Neues – und wir dürfen dabei sein!«

Im Wissen um die Gnade und Liebe Gottes und mit Risikobereitschaft könne »eine vielfältige Kirche entstehen mit Alten und Jungen, mit solcher und anderer Musik, mit gutgeplanten, liturgischen Gottesdiensten und mit Gottesdiensten draußen auf dem Marktplatz, wo alles schiefgehen kann und trotzdem die Echtheit und Lebendigkeit spürbar ist. »Gott schafft Neues – wollt ihr es verpassen?«, rief Rückert der Gottesdienstgemeinde zu. Mit »Es ist alles gesagt. Amen.« war dann wirklich alles gesagt – und eine nachdenkliche Gemeinde hing vorsichtig-mutig dem sich herrlich-mutig aufschwingenden Orgelspiel nach.

Die kirchliche Arbeit zukunftsfähig machen

Inhaltlich hatten die Konferenzmitglieder einige Themen in der Weiterführung zur Beschlussfähigkeit zu beraten. Dazu gehörte der bei der Zentralkonferenz 2017 erteilte Arbeitsauftrag, dass eine »Zukünftige Arbeitsweise und Struktur der EmK in Deutschland« erarbeitet werden sollte. Schon angesichts weiter zurückgehender Kirchengliederzahlen (für den Bereich der Zentralkonferenz Deutschland der EmK seit 2008 von knapp 33.000 auf knapp 26.500 im Jahr 2020, also ein Rückgang um jährlich 1,6 Prozent, der sich in diesem Zeitraum auf insgesamt rund zwanzig Prozent summiert) müsse die Arbeitsweise der kirchlichen Arbeit verändert werden, so das vorliegende Ergebnis. Das betreffe vor allem die zu reduzierende Verwaltung, um die Arbeit in den Gemeinde zu stärken.

Nach allen Überlegungen, »die wir schon fünfzigmal durchdacht haben, geht es jetzt um den Entschluss, loszugehen«, beschrieb Gabriel Straka die Situation. Nicht alles könne dabei schon im Voraus perfekt durchdacht sein, warb der Superintendent des Berliner Distrikts dafür, sich auf den Weg zu machen. »Manche Dinge wird man erst später klären können.« Beschlossen wird die von der Planungsgruppe vorgelegte neue Arbeitsweise erst im November bei der außerordentlichen Tagung der Zentralkonferenz, an der Delegierte aller drei deutschen Jährlichen Konferenzen mitwirken. Die Beratung des Arbeitspapiers während der jetzigen Tagung der Norddeutschen Konferenz dient der inhaltlichen Vorbereitung der Beschlussfassung bei der Zentralkonferenz.

Im Rahmen der Debatte kam erneut die Diskussion auf, eine weitere Verschlankung der kirchlichen Verwaltung durch die Zusammenlegung der drei deutschen Jährlichen Konferenzen zu erreichen. Der Antrag wurde auf den Weg gebracht, sodass die beiden anderen Jährlichen Konferenzen und auch die Zentralkonferenz sich mit diesem Sachverhalt werden beschäftigen müssen.

Kontroverse Diskussion über Superintendentenbericht

Mit sechs Beobachtungen und dreizehn Fragen wandten sich die drei Superintendenten sowohl an die Konferenzmitglieder als auch an die Gemeinden der Norddeutschen Konferenz. Von einigen wurde der Bericht als Kritik an ihrer Arbeit verstanden. Kontrovers wurde die Beobachtung diskutiert, in der die Superintendenten die Gottesdienste als »zentrale Veranstaltungen unseres gemeindlichen Lebens« beschreiben, dabei jedoch »oft wenig Kraft« entfalteten. »Die Abstimmung mit den Füßen ist vielerorts in vollem Gange und wird durch die Corona-Pandemie noch befördert.« Die Erosion sei dramatisch, so die Superintendenten. Mit weiteren Überlegungen zur Bedeutung der Predigt bündeln die drei Superintendenten die Passage mit der Frage: »Wie werden unsere Gottesdienste zu Quellen eines höchst erfreulichen und relevanten Glaubens?«

Diese und weitere Passagen des Berichts führten zu intensiven Auseinandersetzungen und Rückfragen. Die Hamburger Superintendentin Irene Kraft betonte, dass sie als Superintendenten »unsere Beobachtungen, unser Leiden und unseren Schmerz« mitgeteilt hätten. Es gehe im Bericht nicht darum, auf alle Beobachtungen und Fragen gleich die Antworten parat zu haben. Die Fragen seien aktuell und drängend und würden in ähnlicher Weise weiterhin »auf dem Tisch liegen« und in der Pastorenschaft und in den Gemeinden diskutiert werden müssen. Deshalb, so Gabriel Straka, sollten einzelne Fragen aufgegriffen und persönlich, gemeinsam in der Dienstgemeinschaft und vor allem in den Gemeinde vor Ort aufgegriffen und besprochen werden. »Fragen weiten unseren Horizont«, betonte der Berliner Superintendent.

Im Zusammenhang mit dem Bericht der Superintendenten teilte der Bischof mit, dass der im Sommer vergangenen Jahres gestartete Versuch, die Essener Superintendentenstelle zu teilen und als Superintendent und gleichzeitig als Gemeindepastor zu gestalten, nicht weitergeführt werde. Anlass für diesen Versuch waren Überlegungen des Stelleninhabers Stefan Kraft, für den Dienst als Superintendent »die Anbindung an die Gemeinde« zu benötigen. Im Ergebnis habe sich gezeigt, dass »eine zeitliche Abgrenzung zwischen beiden Arbeitsfeldern« nicht zufriedenstellend lösbar sei. Stefan Kraft wird mit dem neuen Konferenzjahr seine Aufgabe als Superintendent wieder in Vollzeit wahrnehmen und den Gemeindedienst als Pastor nicht weiterführen.

Personalangelegenheiten

Angesichts der aktuellen Herausforderungen in der kirchlichen Arbeit und der sich ändernden Arbeitsweise der Kirche verlängerte Rückert die Dienstzeiten für Superintendentin Irene Kraft und Superintendent Gabriel Straka bis zum Jahr 2025. Er habe die Entscheidung zur Verlängerung getroffen, weil es in dieser Zeit »voller Herausforderungen und vieler Umbrüche« nötig sei, Leitungspersonen in noch laufenden Prozessen nicht auszutauschen.

Unter Anerkennung seiner von einer anderen Kirche erhaltenen Ordination zum Pastor wurde Gero Waßweiler als Pastor in die Mitgliedschaft der Norddeutschen Jährlichen Konferenz aufgenommen. Nach Abschluss des Theologiestudiums werden Katrin Schinkel und Markus Sochocki in den pastoralen Dienst und in die Mitgliedschaft der Konferenz auf Probe aufgenommen. Mit einem bereits abgeschlossenen Theologiestudium wurde Michael Künzler als Praktikant angestellt.

Die Kommission für ordinierte Dienste, eine Art kirchliches Personalgremium, stellte Überlegungen zum Burnout im pastoralen Dienst vor. Die Kommissionsmitglieder hatten sich dazu mit einem Modell der Evangelischen Kirche von Westfalen befasst. Dieses biete hilfreiche Analyseinstrumente, um die von Personen im Pfarrdienst wahrgenommenen Aufgaben zu beschreiben. Besonders beim Coaching von Personen und bei der Neuausrichtung von Pfarrstellen habe sich das Modell bewährt und verhelfe auch bei Teilzeitdiensten oder geteilten Stellen zu hoher Transparenz.

In den Überlegungen der Kommissionsmitglieder spielte auch das Modell der sogenannten »Kollegialen Beratung« eine Rolle. Diese Methode erleichtere es, Schwierigkeiten, Herausforderungen und Konflikte im pastoralen Dienst zu benennen und in kollegialem Miteinander, Perspektiven zur Bearbeitung aufzuzeigen. Die Kommission wird sich mit der gesamten Thematik weiter beschäftigen und für die Konferenztagung im kommenden Jahr eine Beschlussempfehlung unterbreiten.

Gute Entwicklung der getroffenen Haushaltstrennung

Hinsichtlich der finanziellen Situation hörten die Konferenzmitglieder Erfreuliches: Die durch die Corona-Pandemie stark betroffene kirchliche Arbeit habe insgesamt nicht zu Einnahmeausfällen geführt. Der jetzt vorgelegte Haushaltsplan folgte erstmalig der bei der letzten Konferenztagung beschlossenen Abtrennung der Immobilien und Pensionszahlungen vom eigentlichen Konferenzhaushalt. Letzterer enthält die laufenden Kosten kirchlicher Arbeit und deren Verwaltung, die nach einer Übergangszeit strikt nach dem Verursacherprinzip aufzubringen sind, sodass die Bezirke ihre Arbeit vor Ort inklusive der Gehaltszahlung für die hauptamtlichen pastoralen Kräfte weitgehend selbst finanzieren werden.

 

Weiterführende Links

Abschlussgottesdienst der Norddeutschen Jährlichen Konferenz als Video (YouTube)

Die Autoren

Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main. Michael Putzke ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche und leitet die Redaktion des zweiwöchentlich erscheinenden Kirchenmagazins »Unterwegs«. Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit(at)emk.de

Zur Information

Die Norddeutsche Jährliche Konferenz ist ein Kirchenparlament der Evangelisch-methodistischen Kirche in Norddeutschland. Dazu gehören 92 Gemeinden mit 8.716 Kirchengliedern und Kirchenangehörigen (Stand: 31.12.2021) in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, sowie in Teilen von Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Statistische Zahlen
Kirchenglieder: 5155 (Vorjahr: 5267)
Kirchenangehörige: 3561 (Vorjahr: 3576)
(Stand 31.12.2021)

Haushalt 2022
Einnahmen 3,4 Millionen Euro, im Wesentlichen finanziert durch die von den Gemeinden aufgebrachte Umlage von 3,2 Millionen Euro. Die Personalausgaben sind mit 2,9 Millionen Euro der größte Ausgabenposten des Haushalts.

Haushalt Immobilien und Pensionen
Der vom Haushalt der Konferenz abgetrennte »Haushalt Immobilien und Pensionen« umfasst mit nicht für gottesdienstliche Zwecke genutzten Immobilien, den Einlagen der Pensionskasse und weiteren Rücklagen die Bilanzsumme von knapp 50 Millionen Euro. Aus diesem Vermögen werden im Haushaltsjahr 2022 die Zahlungen an die Pensionskasse von 1,4 Millionen Euro erwirtschaftet.